Viel Zündstoff für die nächste BNetzA-Beiratssitzung
Bonn (energate) - Die Reform des neuen Regulierungsrahmens im Energiemarkt biegt auf die Zielgerade ein. Nach energate-Informationen soll am 17. September eine Sondersitzung des Beirates der Bundesnetzagentur (BNetzA) stattfinden, um den Stand des sogenannten NEST-Prozesses zu beraten. Dem Gremium gehören jeweils 16 Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates an, den Vorsitz hat Olaf Lies (SPD), Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, inne. Schon im Vorfeld hat die Netzbranche die einzelnen Mitglieder adressiert, um doch noch den einen oder anderen verhassten Vorschlag der Behörde abzuwenden.
Für Diskussionsstoff sorgen unter anderen die Umstellung auf dreijährige Regulierungsperioden, die Anschärfung der Effizienzvorgaben für die Netzbetreiber oder der Wegfall der doppelten Inflationierung der Kapitalkosten. Der Ton aufseiten der Netzbetreiber ist in den vergangenen Wochen durchaus schärfer geworden. Sie warnen davor, dass sie unter dem neuen System nicht ausreichend in die Energiewende investieren können. Kapitalgeber würden abgeschreckt.
Ausgewogenes Regulierungssystem?
Wie aus einem Hintergrundpapier zur Sondersitzung hervorgeht, das energate vorliegt, wird die Behörde mit der Ausgewogenheit des Systems für Netzbetreiber auf der einen und Netznutzer auf der anderen Seite argumentieren. "Die Einwände der Branche treffen nicht zu", heißt es in der Kurzzusammenfassung, die auf die Schreibtische der 32 Bundestags- und Bundesratsvertreter flattern wird. Für die Transformation des Energiesystems erhielten alle Netzbetreiber über den Kapitalkostenaufschlag die Mittel für jede neue Investition im Voraus und das mit aktuellen Fremdkapitalzinsen. Die durch die Energiewende besonders beanspruchten Stromverteilnetzbetreiber können zunächst von der jährlichen Anpassung der Betriebskosten profitieren - auch für Personal und Digitalisierung. Dies erhöht die Gesamtkosten für die Netznutzer laut dem Papier um ca. 2,0 Prozent oder ca. 327 Mio. Euro im Jahr.
Bei der bisher in der Anreizregulierungsverordnung enthaltenen Doppelinflationierung der Kapitalkosten rechnet die BNetzA mit einem Effekt von ca. 0,7 Prozent zugunsten der Verteilnetzbetreiber - im Durchschnitt etwa 125 Mio. Euro. "Regelungen aus dem Status-quo-System, die - auch öffentlich wahrgenommen - zu übermäßigen Gewinnen der Netzbetreiber führen, können in die neue Regulierung nicht übertragen werden", heißt es in dem Papier.
Zudem wird auch mit den guten Werten der handelsrechtlichen Eigenkapitalrendite argumentiert. Dies ist eine Kennzahl, die den Gewinn eines Unternehmens ins Verhältnis zu seinem Eigenkapital setzt und so die Rentabilität der Investition für die Gesellschafter misst. Beim Strom werden 14 Prozent im Hintergrundpapier erwähnt, im Gasbereich "noch etwas höhere Renditen". Die Netzbranche hält dagegen, dass die Gesellschafter Eigenkapital nachschießen müssen für die großen Herausforderungen im Netzausbau. Durch die Reform würden Strom- und Gasnetzbetreibern Kosten von rund 2,4 Mrd. Euro pro Regulierungsperiode strukturell nicht mehr anerkannt, argumentierten BDEW-Vertreter im Gastkommentar für energate.
Diskussion um Strukturpolitik
Die 16 Ländervertreter werden bei der Sitzung voraussichtlich den Vorwurf der Strukturpolitik diskutieren wollen. Vertreter der Landesregulierungsbehörden hatten im energate-Interview bereits ihre Sorge geäußert, dass künftig mehr kleine Netzbetreiber mit dem Regelverfahren überfordert werden. Auch dürften diese eben nicht von der versprochenen Opex-Anpassung profitieren, obwohl der Vorschlag vom Stadtwerkeverband VKU kam.
Inwieweit der Beirat noch auf die Position der BNetzA einwirken kann, wird sich zeigen. Zu den Mitgliedern zählen beispielsweise Markus Hümpfer, Bernd Westphal, Nina Scheer (alle SPD), Mark Helfrich (CDU) oder Ingrid Nestle (Grüne), die auch Stellvertreterin des Vorsitzenden Lies ist. Auf Länderseite sind mehrere Ministerinnen und Minister mit unterschiedlichem Parteibuch vertreten, von Thekla Walker, Steffen Schütz, Hubert Aiwanger bis hin zu Tobias Goldschmidt bzw. ihre Stellvertreter. Andere Bundesländer schicken ihre Staatssekretäre in die Diskussion. Auch Vertreter der Netzbranche werden mit am Tisch sitzen sowie vom Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen (WAR), der sich schon weitgehend hinter die BNetzA gestellt hat - mit einzelnen Fragezeichen bei der Dauer der Regulierungsperioden.
Der NEST-Prozess wurde durch ein Urteil des EuGH mit dem Ziel einer stärkeren Unabhängigkeit der Behörde ausgelöst. Vorgeschaltete Verordnungen zur Anreizregulierung, zum Netzzugang und zu den Entgelten entfallen künftig. Die NEST-Festlegungen will die BNetzA bis Ende des Jahres abschließen. Wahrscheinlich werden sie alle beklagt. Netzvertreter hatten beim Deutschen Energierechtstag kürzlich hoffnungsfroh die Worte der OLG-Düsseldorf-Richterin Anne-Christin Frister vernommen, die eine gerichtliche Vollkontrolle angedeutet hatte. Ob auch der Bundesgerichtshof inhaltlich stärker einsteigt oder der BNetzA weiterhin große Ermessensspielräume zugesteht, ist zumindest fraglich.
Neben dem NEST-Prozess werden bei der Sondersitzung auch die Zukunft der Industrienetzentgelte und die geplante Abschmelzung der sogenannten vermiedenen Netzentgelte zur Aussprache kommen. /mt