Stadtwerke Geldern trotzen Fachkräftemangel
Geldern (energate) - Der Fachkräftemangel ist eines der akuten Themen der Energiebranche. Insbesondere kleinere Versorger kämpfen mit dieser Herausforderung. Den Stadtwerken Geldern am Niederrhein ist es dennoch gelungen, innerhalb von knapp zehn Jahren eine alternde Belegschaft komplett auszutauschen und zu verjüngen. "Ich bin 47 Jahre alt und gehöre damit zu den Älteren", erklärte Jennifer Strücker, Geschäftsführerin der Stadtwerke Geldern, im Interview mit energate.
Strücker selbst ist eng verbunden mit dem demografischen Wandel in Geldern. Sie leitet den lokalen Versorger seit 2016 - ihre Geschäftsübernahme fällt also genau in den Zeitraum des personellen Umbruchs. Ihr Vorgänger Karl-Heinz Freitag leitete die Stadtwerke Geldern über viele Jahre hinweg und baute einen treuen Mitarbeiterstamm auf. Diese Mitarbeitenden sind mit seinem Abschied nach und nach altersgemäß aus dem Unternehmen ausgeschieden. "Es war eine riesige Herausforderung, alle Stellen nachzubesetzen und ein neues, schlagkräftiges Team zu formen", sagte Strücker.
Fachkräftemangel in der Energiewirtschaft besonders ausgeprägt
Klar ist: Mit der Umsetzung der Energiewende sind auch die Anforderungen an die Mitarbeitenden gestiegen und haben sich verändert. "Das Personal muss vor Ort die Energiewende gestalten und umsetzen und jede regulatorische Veränderung, jede Herausforderung, jede Krise bewältigen", so die Geschäftsführerin. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Anforderungen dieser Aufgaben sehen sich insbesondere kleinere Versorger mit einem akuten Fachkräftemangel konfrontiert. In der jüngsten Ausgabe der Stadtwerkestudie des BDEW gaben 80 Prozent der befragten Stadtwerke den Fachkräftemangel als Kernherausforderung an. Gleichzeitig ist es unumstritten, dass die Energiewende tiefgreifende Wandlungsprozesse durchläuft. Das Beratungshaus HXI ist sich deshalb sicher, dass der Fachkräftemangel auch den Kulturwandel in der Branche voranbringen kann.
Von diesem positiven Kulturwandel profitieren jetzt auch die Stadtwerke Geldern. Die neu gewonnenen Mitarbeitenden brachten einen "frischen Blick auf Themen mit", wie es Strücker ausdrückte. Agiles Projektmanagement gehörte ebenso dazu wie der Abschied von analogen Prozessen. "Die Digitalisierung setzen unsere Mitarbeitenden hier vor Ort um und optimieren dabei jeden einzelnen Prozess", zeigte sich die Gelderner Geschäftsführerin begeistert.
Gerade die Digitalisierung ist es, die eine wachsende Kluft in Deutschlands Versorgerlandschaft treibt. Bei vielen kleineren Stadtwerken hemmt der Mangel an Zeit, Geld und Fachkräften den Fortschritt. Auch um diesen Anschluss nicht zu verlieren, hat sich die Zahl der Stellenausschreibungen im Bereich der Energiewende zwischen 2019 und 2024 - allen Krisen zum Trotz - mehr als verdoppelt. Die Energiebranche gehört nämlich zu den Branchen, die laut dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung am meisten unter dem Mangel an Fachkräften leiden. Allein der Energiekonzern EnBW hat bis Ende 2026 rund 10.000 offene Stellen zu besetzen.
Flache Hierarchien statt riesiger Unternehmensstrukturen
Auch die Stadtwerke Geldern zählen nicht für jede offene Stelle gleich 50 Bewerbungen. Mit seinen rund 35.000 Einwohnern ist Geldern sehr ländlich geprägt. Für Jennifer Strücker ist dies aber kein Standortnachteil im Kampf um Fachkräfte - ganz im Gegenteil. "Wir haben durchaus Menschen aus Geldern und der Umgebung, die gerne in der Nähe ihres Wohnorts arbeiten wollen." Und auch die im Vergleich zu großen Playern kleine Teamstruktur sieht Strücker als expliziten Vorteil ihres Unternehmens. "Bei uns ist niemand 'einer von zehn' oder ein spezieller Experte. Verstecken kann man sich hier nicht", so die ehemalige Unternehmensberaterin. Sie suche Menschen, die dies als Chance begreifen und denen sie dann eine Entwicklungsperspektive bieten könne.
Bei Einstellung winkt der moderne Standardkatalog von mobilen Arbeiten mit komplett eigener Ausstattung inklusive Obstkorb, Jobrad und der betrieblichen Krankenversicherung. Das sind Strücker zufolge aber nicht die Faktoren, die letztlich überzeugen. "Wir bieten flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege, geben Verantwortung an unsere Mitarbeitenden ab."
Den Plänen der Bundesnetzagentur (BNetzA), die Personalkosten in den Effizienzvergleich einzubeziehen, steht die Stadtwerke-Geschäftsführerin kritisch gegenüber. Ähnlich sieht es auch die Gewerkschaft Verdi, die Anfang Mai in Bonn eine Massendemonstration gegen die BNetzA-Pläne organisierte. In der Folge gab es von der Bonner Behörde bei dem Thema Personalkosten im Effizienzvergleich ein leichtes Entgegenkommen.
Kommunalversorger sind für Energiewende unerlässlich
Den NEST-Prozess interpretiert Strücker als eine seitens der BNetzA bewusst hochgehaltene bürokratische Hürde, "um kleinere Stadtwerke unter eine engere Führung zu stellen". Für sie ist das ein klarer Fehler. "Wir reden mit den Kundinnen und Kunden, mit der Kommunalpolitik, kennen die Rahmenbedingungen für die kommunale Wärmeplanung." Aufgaben, die nur Kommunalversorger in der Art leisten könnten. Strücker lehnt daher eine Bündelung von Netzbetreibern - wie es die BNetzA präferiert - ab. Denn gerade die lokalen Versorger seien Enabler der Energiewende. /rh
Das komplette Interview mit Jennifer Strücker lesen Sie im Markt & Industrie-Add-on. Dabei geht es auch um die kommunale Wärmeplanung, einen bewussten Machtverzicht bei einem Windpark sowie die möglichen kommunalen Antworten auf bundesweit tätige Dienstleister wie Enpal, 1Komma5 Grad und Co. Weitere Interviews der energate-Sommerserie "Stadtwerke im Fokus" finden Sie hier.