Reiche sieht Energiewende am Scheideweg
Berlin (energate) - Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat in Berlin den lange erwarteten Monitoringbericht zur Energiewende vorgestellt. Ein Abbremsen des Erneuerbarenausbaus - wie von einigen Kritikern befürchtet - empfiehlt die 259-seitige Analyse nicht. "Der Ausbau der erneuerbaren Energieanlagen ist weiterhin in hohem Umfang notwendig, um die Klimaziele zu erreichen", heißt es im Bericht. Jedoch prognostizieren die Beratungsgesellschaft BET und das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (Ewi) einen Strombedarf für das Jahr 2030 innerhalb einer Spannbreite von 600 bis 700 TWh. Bislang wurde der Bruttostromverbrauch in Deutschland bis 2030 auf 750 TWh geschätzt, er liegt derzeit bei rund 512 TWh. Einige Studien hatten einen sehr viel geringeren Strombedarf für die Zukunft errechnet und damit Kosteneinsparungen in der Energiewende identifiziert.
Reiche sprach bei der Präsentation des Monitoringberichts dennoch von einem "Scheideweg für die Energiewirtschaft". Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei zweifellos ein großer Erfolg. Damit die Energiewende gelinge, müssten aber auch Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kostentragfähigkeit des Energiesystems ins Zentrum rücken. Dafür schlägt Reiche zehn Schlüsselmaßnahmen vor, unter anderem eine "ehrliche Bedarfsermittlung und Planungsrealismus" und eine verbesserte Koordination des Ausbaus erneuerbarer Energien und von Flexibilitätstechnologien mit vorhandenen oder geplanten Netzkapazitäten. So solle der Erneuerbarenausbau besser "räumlich gesteuert werden", empfiehlt das Gutachten unter anderem.
Erneuerbare sollten "markt- und systemdienlich" gefördert werden, so die Ministerin. Dafür will Reiche beispielsweise die fixe Einspeisevergütung für Neuanlagen abschaffen und eine Verpflichtung zur Direktvermarktung einführen. "Erneuerbare Energien werden weiter gefördert. Jedoch wird die fixe Einspeisevergütung für Neuanlagen abgeschafft", heißt es aus dem Ministerium. Stattdessen würden entsprechend europäischen Vorgaben differenzierte Finanzierungsmodelle eingeführt, die Planungssicherheit für den Ausbau von erneuerbaren Energien ermöglichten. "Dies können etwa zweiseitige Contracts for Difference (CfDs) und Clawback-Mechanismen sein", heißt es.
Weniger Offshore und PV-Förderung
Schon zuvor hatte Reiche davon gesprochen, die Förderung neuer privater Solaranlagen abzuschaffen. "Aufdach-PV rechnet sich ohne Förderung", betonte Reiche nun erneut. Auch den Ausbau von Windanlagen auf See will die Ministerin drosseln. Durch die Optimierung des Offshore-Ausbaus können Netzanbindungsleitungen eingespart und die Kosten um bis zu 40 Mrd. Euro reduziert werden, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium. Reiche verwies auf die Nullnummer bei der letzten Wind-auf-See-Auktion. Im August war die Offshore-Wind-Ausschreibung ohne ein einziges Gebot zu Ende gegangen.
Wenn bei Offshore etwas reduziert werde, könne angesichts der geringeren Stromverbräuche trotzdem das Ziel von 80 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch im Jahr 2030 erreicht werden, so die Ministerin. "An den Klimazielen halten wir fest", sagte sie zudem. Auch die Autoren des Berichts betonten, dass 80 Prozent Erneuerbare erreichbar und die Einhaltung des Treibhausgasneutralitätsziels bis 2045 zentrale Leitplanke für das Gutachten gewesen sei. Sie empfehlen zudem unter anderem eine bessere Auslastung von Infrastrukturen (Überbauung), Anreize für systemdienliche Flexibilität und eine Beschleunigung bei Digitalisierung - insbesondere des Smart-Meter-Rollouts, der in seiner Komplexität reduziert und deutschlandweit standardisiert werden solle.
Rückfall ins fossile Zeitalter?
Die Einführung eines Kapazitätsmechanismus könne Investitionsanreize für steuerbare Kraftwerkskapazitäten schaffen, heißt es zudem im Gutachten. Etablierte Mechanismen, zum Beispiel der zentrale Kapazitätsmechanismus nach belgischem Vorbild, könnten eine schnellere Einführung ermöglichen. 2027 solle der "technologieoffene" Kapazitätsmechanismus kommen - erste Ausschreibungen könnten zu Ende des Jahres 2025 starten, sagte Reiche erneut. Sie erwähnte auch, dass neue Kraftwerke "perspektivisch H2-fähig" sein müssten. Zunächst will die Ministerin mit einem "Schnellboot mit 5 bis 10 GW" reiner Gaskraftwerke starten - was innerhalb der Regierungskoalition umstritten ist.
Während Wirtschaftsministerin Reiche die Energiepolitik mit mehr Pragmatismus und Kosteneffizienz neu ausrichten will, betonte BET-Geschäftsführer Alexander Kox, dass der Monitoringbericht "kein Rückfall ins fossile Zeitalter und ein Zurückdrehen der Energiewende" bedeute. "Wir sind 'on track', was die Ausbauziele angeht, haben aber die Kosten etwas aus dem Auge verloren", so Kox. Es brauche weiter einen signifikanten Zubau bei Erneuerbaren und Netzen - nur etwas intelligenter. /ck
Lesen Sie auch den Kommentar von Chefredakteur Christian Seelos und eine Zusammenfassung erster Branchenreaktionen.