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Neu-Isenburg setzt Rechner-Abwärme auf die Eins

Neu-Isenburg (energate) - Rechenzentren gelten als gute Abwärmelieferanten für Fernwärmenetze. Bislang zapfen Stadtwerke diese Quelle noch kaum an. Die Abwärme der mehr als 2.000 Data-Center in Deutschland mit 2,7 GW Anschlussleistung bleibt weitgehend ungenutzt. Ein Gegenbeispiel sind die Stadtwerke Neu-Isenburg aus Hessen. Der Versorger will sich mithilfe der Rechner-Abwärme das Geschäftsfeld Fernwärme ganz neu erschließen. Ziel ist es, eine leitungsgebundene und nachhaltige Wärmeversorgung in der Stadt mit knapp 40.000 Einwohnern aufzubauen. Eine andere Chance, ein grünes Wärmeangebot zu machen, bleibt dem Versorger aber auch nicht. "Wir haben uns bemüht, auch alternative Potenziale in Neu-Isenburg aufzutun, aber da gibt es schlicht und ergreifend herzlich wenig", erklärte Kirk Reineke, Geschäftsführer der Stadtwerke Neu-Isenburg, im energate-Sommerinterview.

 

Solar- und Geothermie scheiden aus

 

Hintergrund ist vor allem die Topografie. "Die wenigen Freiflächen, die wir haben, auf denen keine Bäume wachsen, sind in der Regel Natur- und Wasserschutzgebiete", sagte Reineke. Damit scheidet Geothermie ebenso aus wie es größere Solarthermieanlagen tun. Auch Abwasserwärme kommt in Neu-Isenburg nicht infrage. Die Ströme reichen nicht aus, weil die Kommune das Regenwasser separat sammelt und einer Versickerung zuführt. Also setzen die örtlichen Stadtwerke in Sachen grüne Wärmequellen alles auf die Ansiedlung eines neuen Rechenzentrums. Das soll auf einer großen Konversionsfläche entstehen, auf der früher die Druckerei der Frankfurter Rundschau beheimatet war.

 

Rechenzentrum mit 54 MW Abwärmeleistung

 

Die ersten Gespräche dazu liegen schon über drei Jahre zurück, inzwischen gibt es eine Absichtserklärung mit dem Investor und gemeinsam mit der Kommune einen städtebaulichen Vertrag. In dem sind auch Eckpunkte für die Abwärmelieferung definiert. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Betreiber ein Grundstück für die Errichtung einer Wärmezentrale zur Verfügung stellt. Das Rechenzentrum wird mit Inbetriebnahme eine Abwärmeleistung von 54 MW haben. "Wir bekommen die Wärme mit einer Temperatur von etwa 30 Grad Celsius übergeben", erklärte Reineke im Gespräch mit energate. Mehrere Großwärmepumpen sollen die Abwärme dann auf ein Temperaturniveau von 70 Grad Celsius hochbringen.

 

Einigung mit Netzbetreiber

 

Aber noch viel wichtiger für die Umsetzung des Projekts: Es gibt auch schon eine Einigung mit dem vorgelagerten Netzbetreiber zum Stromanschluss. Denn das Rechenzentrum benötigt eine Anschlusskapazität von rund 100 MW. Laut der Dena-Initiative Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende ist die verfügbare Stromnetzkapazität oftmals der Knackpunkt für eine mögliche Ansiedelung eines Rechenzentrums. Dafür ist das Rhein-Main-Gebiet rund um Frankfurt das beste Beispiel. Dort nämlich ist der immense Strombedarf längst an die Grenzen der vorhandenen Netzinfrastruktur gestoßen. So berichtete etwa auch die Süwag, eine regionale Verteilnetztochter von Eon, in diesem Anschlusssegment "bis 2030 ausgebucht" zu sein.

 

Zweistellige Anzahl von Anschlussbegehren

 

Die IT-Wirtschaft weicht deshalb wohl mittlerweile vermehrt auf kleinere, ländlichere Kommunen aus. Auch Reineke sieht vor diesem Hintergrund die Nähe zum Internetknotenpunkt Frankfurt als klaren Standortvorteil für Neu-Isenburg. "Die Stromkapazität steht hier zur Verfügung, weil der vorgelagerte Netzbetreiber sein 110-kV-Netz entsprechend ausgebaut hat", so der Stadtwerke-Chef. Er wisse, dass dem Netzbetreiber eine zweistellige Anzahl von Anschlussbegehren für weitere Rechenzentren vorliege. Deswegen ist Reineke auch vergleichsweise entspannt, was die Resilienz der neuen Fernwärmeversorgung angeht. "Selbst wenn der Investor das Rechenzentrum irgendwann weiterverkauft, bin ich überzeugt, dass der Standort langfristig Bestand haben wird und wir darauf eine Fernwärmeversorgung aufbauen können", sagte er.

 

Preislich soll die Wärme unter Gas und Wärmepumpe liegen

 

Optimistisch blickt Reineke vor allem auch auf die künftige Abnahme der Fernwärme. Einen Anschluss- und Benutzungszwang braucht es aus seiner Sicht nicht, um diese zu sichern. Ein Preisschild hat die grüne Fernwärme für Neu-Isenburg zwar noch nicht. "Wir sind aber in der ersten Kalkulation unter Einbezug der Betriebskostenförderung zu dem Ergebnis gekommen, dass wir eine gute Chance haben, gerade für Mehrfamilienhäuser mit älteren Baustandards deutlich günstiger zu sein als ein Erdgaskessel oder die Umrüstung auf eine Luftwärmepumpe", ist er überzeugt. Insgesamt gibt es in Neu-Isenburg rund 8.000 Gebäude. Aufgeteilt in fünf Maßnahmenpakete wollen die Stadtwerke etwa 2.500 Gebäude an das künftige Fernwärmenetz anschließen. Großes Interesse sei vor allem vonseiten der Gewerbekunden vorhanden. "Dort gibt es seit Jahren Kundenanfragen, besonders seit der Energiekrise", blickte Reineke zurück. Insbesondere für die internationalen Unternehmen, die ihren Sitz in Neu-Isenburg haben, sei ein grünes Wärmeangebot ein wichtiges Thema.

 

Gespräche mit Banken laufen an

 

Kostenpunkt für das Gesamtprojekt: 225 Mio. Euro. 87 Mio. Euro davon wollen die Stadtwerke über Fördergelder einsammeln. Die Gespräche mit den Banken über mögliche Finanzierungskonzepte laufen gerade an. "Insbesondere den August wollen wir nutzen, sodass wir bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung Ende September eine Finanzierungsstruktur vorstellen können", gab Reineke einen Einblick. Es werde aber die ganze Bandbreite gebraucht, auch Kommunalfinanzierung über Bürgschaften und die Beteiligung von Genossenschaften. "Wir werden auch die Bürger ermutigen, in das Wärmenetz zu investieren", kündigte der Geschäftsführer an. Für die Energiezentrale denkt er zudem über eine Projektfinanzierung und die Ausgliederung in eine eigene Gesellschaft nach. Die ersten Bagger könnten laut Reineke 2027 schon rollen, die erste Wärmelieferung dann 2030 stattfinden. Alles andere sei unrealistisch, weil es bis dahin für den Versorger noch eine sehr lange To-do-Liste abzuarbeiten gibt. /ml

 

Das komplette Interview mit Kirk Reineke lesen Sie im Add-on Gas & Wärme. Dabei geht es auch darum, wie der Versorger mit seiner Erdgasinfrastruktur umgehen will. Weitere Interviews der energate-Sommerserie "Stadtwerke im Fokus" finden Sie hier.

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