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Netzentgeltreform: BNetzA macht Überstunden

Bonn (energate) - Industrie und Netzbetreiber müssen sich bei der Reform der Netzentgelte für industrielle Großverbraucher nach §19 StromNEV in Geduld üben. Die Bundesnetzagentur kann ihren anvisierten Zeitplan für einen ersten Vorschlag zur Neugestaltung nicht halten. Ursprünglich wollte die Regulierungsbehörde bis Ende Januar einen ersten Festlegungsentwurf für die Reform vorlegen. Der Termin verschob sich - zunächst auf Ende März, dann hieß es Ende April. Inzwischen stellt die Behörde auf Anfrage gar keinen konkreten Termin mehr in Aussicht. Der Prozess verzögere sich, "weil die Auswertung der Stellungnamen im Verfahren noch nicht abgeschlossen ist", teilte ein Sprecher der Bundesnetzagentur auf Anfrage mit.

 

Aktuelle Regelung läuft aus

 

Ziel sei die Schaffung eines marktdienlichen Anreizes, die Gewährung hinreichender Übergangsfristen, eine angemessene Einbeziehung der Netzbetreiber sowie die Vermeidung von negativen Auswirkungen auf das Netz, skizzierte der Behördensprecher die Herausforderung. Die Bundesnetzagentur hatte im Juli des vergangenen Jahres ein Eckpunktepapier vorgelegt, das die Richtung der Reform umreißt. Demnach sollen die Sondernetzentgelte für industrielle Großverbraucher künftig stärker eine flexible Fahrweise anreizen, um den neuen Realitäten in der Stromerzeugung gerecht zu werden. Seit diesem Eckpunktepaper ist allerdings nicht mehr viel passiert. Dabei drängt inzwischen die Zeit. Die aktuellen Vergünstigungen für die Industrie laufen spätestens Ende 2028 aus und fallen ersatzlos weg, falls es zu keiner Anschlussregelung kommt. Nach den Plänen der Bundesnetzagentur soll die Neuregelung allerdings bereits am 1. Januar 2026 in Kraft treten. 

 

Spekulationen, die Verzögerungen seien auch darauf zurückzuführen, dass die BNetzA die Neuregelung mit der neuen Bundesregierung erörtern und abstimmen möchte, trat der Sprecher entgegen. Die Bundesnetzagentur handele als unabhängige Regulierungsbehörde, betonte er. Die Regierungsbildung habe entsprechend keinen Einfluss auf das laufende Verfahren. Die Privilegien der Industrie bei den Netzentgelten - auch Industrierabatte genannt - stellen ein wichtiges Entlastungsinstrument für energieintensive Betriebe dar und sind damit auch industriepolitisch ein wichtiger Hebel. Im vergangenen Jahr summierten sich Netzentgeltreduzierungen für die Industrie auf mehr als 1 Mrd. Euro. 

 

"Wahrscheinlich kontroverseste Festlegung"

 

Es hatte sich abgezeichnet, dass die Reform eine schwere Geburt werden würde. Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, hatte sich früh auf schwierige Diskussionen mit der Industrie eingestellt und im Interview mit energate im vergangenen Jahr von der "wahrscheinlich kontroversesten Festlegung" auf der Agenda der Behörde gesprochen. Tatsächlich waren die Widerstände in der Industrie von Beginn an groß. So hatte beispielsweise die Chemieindustrie im Konsultationsprozess darauf hingewiesen, dass die Potenziale zu Flexibilisierung begrenzt sind. Zudem gingen entsprechende Umstellungen von Prozessen zulasten der Auslastung - und damit der Wirtschaftlichkeit. 

 

Eine weitere Schwierigkeit im Reformprozess ist: Der Bundesnetzagentur selbst liegen nur rudimentäre Erkenntnisse über Flexibilisierungspotenziale in industriellen Prozessen vor. Die Behörde ist angewiesen auf die Zuarbeit der Industrie und hatte diese in ihrem Eckpunktepaper erbeten. So waren im Rahmen der Konsultation Industriebetriebe aufgefordert, ihre "Anpassungspotenziale beim Strombezug" zu quantifizieren. 

 

"Nicht primäre Aufgabe von Unternehmen"

 

Die Industrieseite hat im Konsultationsprozess bereits wortreich ihre kritische Haltung gegenüber den Plänen der Bundesnetzagentur vorgetragen. Das produzierende Gewerbe sei grundsätzlich bereit, einen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende in Deutschland zu leisten, erklärte der Bundesverband der Industrie BDI in einer Stellungnahme. "Dies ist jedoch nicht die primäre Aufgabe von Unternehmen - und soll es unserer Auffassung auch nicht werden." 

 

Stattdessen wirbt die Industrie dafür, die geltenden Regeln zur Entlastung, wie etwa das sogenannte Bandlastprivileg, nicht komplett zu verwerfen. Das Bandlastprivileg ist eines der zentralen Grundgedanken der geltenden Sonderregeln, wonach Betriebe mit konstantem Stromverbrauch deutlich reduzierte Netzentgelte zustehen. Diese Regelung unterstellt, dass eine gleichmäßige und prognostizierbare Stromabnahme systemdienlich sei. Diese Betrachtungsweise haben auch in Zeiten volatiler Stromerzeugung durch erneuerbare Energien weiterhin Bestand, argumentiert beispielsweise der Industrieverband VIK. 

 

Hoffnung auf "geringen Umsetzungsaufwand"

 

Die Energiewirtschaft hat derweil hinsichtlich der Netzentgeltreform ganz andere Sorgen. Die Branche mahnt etwa eine einfach umsetzbare Lösung an "mit möglichst geringem Abwicklungs- und Umsetzungsaufwand", wie es in einer Stellungnahme des BDEW heißt. Zum anderen fordert der Branchenverband ein Verständnis von Flexibilität, das sich erkennbar an der Netzdienlichkeit ausrichtet. Eine Orientierung allein an den Großhandelspreisen spiegele nicht die realen "Kosten der Stromnetznutzung" wider und sei daher "weder sachgerecht noch zielführend", betonte der BDEW. Auch der Stadtwerkeverband VKU hatte in seiner Stellungnahme auf den Unterschied zwischen System- und Netzdienlichkeit hingewiesen.  /rb

 

Korrekturhinweis: In der ursprünglichen Version des Artikels war die Rede davon, dass bestehenden Regeln der StromNEV Ende 2025 auslaufen. Das ist nicht korrekt. Richtig ist, dass die aktuellen Regeln bis Ende 2028 Bestand haben. 

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