Günstigere Energiewende durch angepasste Ausbauziele
Berlin (energate) - Die Bundesregierung will den Strompreis durch Haushaltszuschüsse um 5 Cent/kWh verringern. Das ändert aber nichts an den tatsächlich anfallenden Kosten im Stromsystem. Wie sich diese um etliche Milliarden senken ließen, zeigt eine Studie, die der Energiekonzern EnBW jetzt in Berlin vorgestellt hat. Das Ergebnis: Mit weniger Ambition beim Ausbau von Offshore-Windparks, PV-Anlagen und Elektrolyseuren ließe sich das Ziel der Klimaneutralität im Stromsektor ebenfalls erreichen, allerdings mit mindestens 300 Mrd. Euro geringeren Systemkosten bis zum Jahr 2045.
Erarbeitet hat die Studie das Analysehaus Aurora Energy Research. "Es ging dabei nicht darum, die Energiewendeziele infrage zu stellen, sondern einen möglichst kosteneffizienten Pfad aufzuzeigen", betonte Hanns Koenig, Managing Director bei Aurora Energy. Ein maßgeblicher Hebel dazu wäre, die geplante Elektrolysekapazität in Deutschland kräftig abzusenken - und zwar von 50 GW bis 2045 auf nur 10 GW. Die Studienautoren begründen dies damit, dass importierter Wasserstoff absehbar deutlich günstiger sei als hierzulande produzierter. In der Folge würde auch weniger PV- und Netzausbau benötigt. Studienautor Frederik Beelitz bezifferte die dadurch mögliche Einsparung auf bis zu 100 Mrd. Euro bis 2045.
Gaskraftwerke statt Offshore-Windparks
Eine weitere Kostenreduktion um bis zu 80 Mrd. Euro halten die Studienautoren für realisierbar, wenn weniger Offshore-Windparks, dafür aber mehr regelbare Kraftwerke gebaut würden. Bisheriges Regierungsziel sind 70 GW Offshore-Windkraft bis 2045. Aurora Energy schlägt ein Ausbauziel von 55 GW vor. Das würde verhindern, dass Meereswindparks weit entfernt von der Küste mit hohen Netzanbindungskosten errichtet werden müssten. Ersatzweise sollten mehr wasserstofffähige Kraftwerke entstehen, die in Zeiten geringer Erneuerbarenproduktion die Versorgung absichern. Das würde auch den Bedarf an Stromspeichern wie Batterien verringern. Wenn die Kraftwerke zudem blauen statt grünen Wasserstoff als Brennstoff einsetzen würden, ergäben sich weitere Kostensenkungspotenziale von bis 40 Mrd. Euro, erläuterte Studienautor Beelitz.
An der Frage blauer oder grüner Wasserstoff scheiden sich jedoch die Geister. So meldete sich etwa die baden-württembergische Energieministerin Thekla Walker (Grüne) zu dem Thema zu zu Wort. Sie kritisierte, dass das Festhalten an fossilem Erdgas, aus dem der blaue Wasserstoff gewonnen wird, "unkalkulierbare Kostenrisiken" berge. "Wir sollten daher die Nutzung von blauem Wasserstoff nur für eine möglichst kurze Übergangszeit in Erwägung ziehen", betonte sie. Aurora Energy hat auch die Option CCS an Kraftwerken berechnet. Da die CO2-Abscheidetechnologie jedoch "sehr kapitalintensiv" sei, lohne sich ihr Einsatz erst ab 3.500 Volllaststunden oder mehr, erklärte Studienautor Beelitz. Auf solche Einsatzzeiten werden die Back-up-Kraftwerke aber nicht kommen. Beelitz rechnet mit maximal 1.200 bis 2.000 Volllaststunden.
Weitere Kostensenkungen möglich
Die von EnBW in Auftrag gegebene Studie basiert auf der Annahme, dass die Stromnachfrage weniger stark ansteigt als in bisherigen Szenarien angenommen. Statt einer Zunahme von heute rund 520 auf 1.150 TWh im Jahr 2045 rechnet Aurora Energy mit maximal 965 TWh. Dem liegt im Wesentlichen die deutlich verringerte Zahl an Elektrolyseuren in Deutschland zugrunde. Die Studienautoren haben zudem ein Szenario berechnet, bei dem der Strombedarf aufgrund industrieller Rückgänge im Jahr 2045 nur bei 760 TWh liegen würde. Dann würden sich durch weitere Anpassungen der Strominfrastruktur nochmals bis zu 400 Mrd. Euro einsparen lassen, davon fast 300 Mrd. Euro in den Stromnetzen. Auf vergleichbare Zahlen kam jüngst auch eine Studie der Boston Consulting Group im Auftrag des BDI. Im Szenario einer deutlich schwächeren Stromnachfrage würde allerdings auch die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors nur teilweise zum Tragen kommen.
"Richtige Zukunftstechnologien" statt Atomkraft
Kein Thema der Studie war die von der Politik ins Gespräch gebrachte Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten Kernkraftwerke. "Ich lese und staune", sagte EnBW-Vorstandschef Georg Stamatelopoulos von energate auf die aktuelle Debatte angesprochen. Der Stand des Rückbaus des zuletzt von EnBW betriebenen Reaktors Neckarwestheim 2 lasse keine kurzfristige Wiederinbetriebnahme zu. "Das wäre keine Lösung für die nächsten fünf oder sieben Jahre", betonte der EnBW-Chef. Ähnlich hatten sich zuvor bereits die anderen, früheren Betreiber der deutschen Kernkraftwerke geäußert. Auch wirtschaftlich sei eine Wiederinbetriebnahme keine wirkliche Option, betonte Stamatelopulos. Die Betreiber müssten dafür "viel Geld" in die Hand nehmen - und dieses Geld würde dann fehlen für Investitionen in "richtige Zukunftstechnologien", so der EnBW-Chef. /cs