Energiewende-Monitoring unter Beschuss
Berlin (energate) - Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sieht beim Monitoring-Prozess zur Energiewende den Koalitionsvertrag möglicherweise verletzt. In einem Brief an Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), der energate vorliegt, kritisiert sie Inhalte der Leistungsbeschreibung (LB) zum Monitoring. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD festgehalten, bis zum Sommer eine solche Analyse durchführen zu wollen. Den Auftrag bekamen die Beratungsgesellschaft BET Consulting und das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (Ewi) Ende Juni.
Die schon damals geleakte Leistungsbeschreibung weiche vom Koalitionsvertrag in wesentlichen Fragen ab, schreibt Scheer. Sie äußerte Verständnis dafür, dass geleakte Dokumente vom Wirtschaftsministerium nicht kommentiert würden. Allerdings habe sie bislang auch auf Nachfrage die Leistungsbeschreibung nicht auf offiziellem Wege bekommen. "Wenn das Ergebnis des Monitoring-Prozesses für die energiepolitische Koalitionsarbeit herangezogen werden soll, ist es unerlässlich, den Inhalt koalitionär abzustimmen", heißt es in dem Schreiben. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Beauftragung bzw. die LB inhaltlich von den Aussagen des Koalitionsvertrages abweiche.
Und ihrer Ansicht nach sind die Unterschiede der Leistungsbeschreibung zu Aussagen des Koalitionsvertrages "gravierend". Der Brief enthält neun Beispiele: So kritisiert sie die Fragestellung, "ob es einer Neuausrichtung der Energiepolitik bedarf". Diese Ergänzung stelle alle geltenden energiepolitischen Regelungen pauschal infrage und schaffe damit Planungs- und Investitionsunsicherheit, heißt es.
Scheer sieht Klärungsbedarf
"Mein Brief ist weniger eine Befürchtung, sondern behandelt Klärungsbedarf", stellte Scheer auf Anfrage von energate nach möglichen Befürchtungen klar. "Wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass seitens des Bundeswirtschafts- und Energieministeriums energiepolitische Zielvorgaben verfolgt werden, die mit dem Koalitionsvertrag nicht vereinbar sind, bedarf es entsprechender Klärung." Solche Anhaltspunkte würden vorliegen. So entspreche die Frage nach einer Neuausrichtung der Energiewende nicht den Zielvorgaben des Koalitionsvertrages.
Auch kritisiert sie gegenüber energate die "auftragsgemäße Einbeziehung vorausgewählter Studien, die sich teilweise aufeinander beziehen". Damit werde die Ergebnisoffenheit des Monitorings "gelenkt" und "eingeschränkt", heißt es im Brief. Studien wie die von Aurora Energy im Auftrag des Energiekonzerns EnBW oder der Boston Consulting Group im Auftrag des BDI hatten zuvor eine weniger stark steigende Stromnachfrage als angenommen prognostiziert. Dies hatte eine Debatte über einen "Neustart der Energiewende" mit möglicherweise langsamerem Erneuerbaren- und Netzausbau befeuert.
Durch die Nennung der Erneuerbaren als "Unsicherheitsfaktor" und das Fehlen äquivalenter Umschreibungen etwa für CCS würden die Handlungsbedarfe durch fehlende Konkretisierung verzerrt abgebildet, heißt es weiter in dem Brief. Scheer kritisiert auch die Aufforderung zu Lösungsvorschlägen und Handlungsempfehlungen. Damit gehe es, anders als es ein Monitoring fordere, nicht um eine Bestandsanalyse, sondern um energiepolitische Gestaltung.
Die Beauftragung zum Monitoring-Prozess setze den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag um - dieser sei Gegenstand der Ausschreibung, hieß es wiederum aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage von energate. Stellungnahmen aus dem parlamentarischen Raum würden nicht kommentiert. Das Ministerium werde die Ergebnisse des Monitorings zum Ende des Sommers abwarten und anschließend Schlüsse daraus ziehen. Änderungsvorschläge würden dann in der Bundesregierung abgestimmt und im Anschluss dem Parlament zur Beratung vorgelegt, so ein Sprecher.
Umweltverbände unterstellen Bremsauftrag
Während Scheer noch Klärungsbedarf sieht, beurteilen Umweltverbände die Leistungsbeschreibung für das Energiewende-Monitoring teils harsch. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) unterstellt einen Auftrag, Stromverbrauch und damit den Ausbaubedarf für erneuerbare Energien kleinzurechnen. "Statt die Dynamik der kostengünstigen erneuerbaren Energien zu nutzen, möchte Frau Reiche Wind- und Sonnenenergie mit planwirtschaftlichen Vorgaben maßregeln und ausbremsen", sagte Constantin Zerger, DUH-Leiter Energie und Klimaschutz.
Zusammen mit sieben weiteren Umweltverbänden hat die DUH nun ein Positionspapier mit Forderungen und Maßnahmen veröffentlicht, wie Strompreise in Deutschland dauerhaft gesenkt und gleichzeitig Klima- und Energieziele erreicht werden könnten. Nur erneuerbare Energien können demnach die Kosten im Stromsystem nachhaltig senken, so die Botschaft. "Diskussionen über ein Ausbremsen der Energiewende, wie sie von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche angestoßen wurden, sind Gift für klimafreundliche Investitionen, den Umbau der Wirtschaft und bezahlbare Energiepreise", so die Umweltverbände. Sie fordern unter anderem einen "naturverträglichen Turbo" für Wind- und Solarenergie, zielgerichtete Reformen bei Netzentgelten und Netzplanung und eine zeitlich begrenzte Senkung der Stromsteuer für alle.
Einem "überdimensionierten Ausbau fossiler Gaskraftwerke" erteilen sie hingegen eine Absage. Kohlenstoff-Abscheidevorrichtungen an Gaskraftwerken (CCS) lehnen sie ebenfalls ab. Wirtschaftsministerin Reiche will bis Ende des Jahres zunächst 5 bis 10 GW reine Gaskraftwerke ausschreiben. Dass sie dabei keine Wasserstofffähigkeit der Kraftwerke einfordern will, hatte die SPD-Politikerin Scheer kürzlich ebenfalls kritisiert. /ck