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Zentral statt Markt - Amprion-Vorschlag spaltet Branche

Dortmund (energate) - Kurzfristig auftretende Netzengpässe stellen für den sicheren Betrieb der Übertragungsnetze zunehmend eine Herausforderung dar. Der Grund: Die Erzeugung von grünem Strom ist im Gegensatz zu fossilen Kraftwerken anfällig für Prognoseungenauigkeiten. Der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Amprion hat einen Vorschlag entwickelt, der dem entgegenwirken soll - allerdings in Form eines umstrittenen Markteingriffs. Das Grundproblem beschrieb Andreas Maaz, Leiter Systemdienstleistungen Netzführung bei Amprion und Urheber des Konzepts, während eines Pressegesprächs folgendermaßen: Die Integration volatiler Stromeinspeiser führt zu immer häufigeren kurzfristigen Engpässen im Stromnetz. Direktvermarkter sind zwar für den Ausgleich ihrer Bilanzkreise verantwortlich, sie können aber wirtschaftlich motivierte Entscheidungen treffen, die das Stromnetz belasten. Beispiel: Sie kaufen Strom ein, den sie ursprünglich einspeisen wollten, wenn negative Preise drohen. Dies könne sich netzbelastend auswirken, wenn sich der Einsatz der Anlagen im Netz umfassend ändert. Zwar seien solche Vorgänge in der Gegenwart noch nahezu immer netzentlastend, räumte Maaz ein. Mit zunehmenden Strommengen sei dies zukünftig aber nicht mehr gegeben. Für Netzbetreiber werde es daher immer schwieriger, die tatsächlichen Stromflüsse zu koordinieren und auf kurzfristige Einspeiseänderungen zu reagieren.

 

Central Dispatch: Physikalische Steuerung beim Netzbetreiber

 

Das von Maaz entwickelte Konzept sieht vor, dass die Verantwortung für den physikalischen Einsatz von Wind- und PV-Anlagen auf den Netzbetreiber übertragen wird. Der Direktvermarkter wäre in diesem Fall nicht mehr selbst für die physikalische Anlagensteuerung zuständig. Stattdessen erfolgt der Ausgleich über einen Bilanzkreisfahrplan mit dem ÜNB-Redispatch-Bilanzkreis. Der Vorschlag sieht vor, dass Direktvermarkter 90 Minuten vor Echtzeit nicht mehr in der Lage wären, EE-Anlagen abzuschalten. Die Strommenge aus der marktlichen Abregelung ginge damit in den Vorplanungsprozess des Engpassmanagements ein, der Redispatch wäre nicht mehr auf das Portfolio des Direktvermarkters beschränkt.

 

Der Vorteil liegt laut Amprion darin, dass anders als für rein netzseitige Abregelungen bei einem beispielhaften Nord-Süd-Engpass keine Hochfahrmaßnahmen erforderlich seien. Die marktliche Abregelung würde in diesem Fall als Bilanzausgleich herangezogen werden. Auf Nachfrage erklärte Maaz, dass das Konzept Einsparpotenziale von bis zu zehn Prozent der Redispachkosten im Vergleich zu den bisherigen Standards mit sich bringe. Jedoch stünde nicht die Reduktion von Kosten im Vordergrund, sondern die Netzstabilität.

 

Direktvermarkter: Vorschlag stellt liberalisierten Energiemarkt infrage

 

Bei den von energate befragten Direktvermarktern stößt der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Marc Rühs, CEO von Next Kraftwerke, erklärte auf Anfrage, dass derzeit der Ausbau von Netzkapazitäten nicht mit dem Ausbau der Erneuerbaren Schritt halten könne. "Aus der Folge ein Central Dispatch zu fordern und den liberalisierten Strommarkt mit all seinen Vorteilen grundsätzlich infrage zu stellen, geht unserer Meinung nach zu weit", hielt er dagegen. Auch EnBW sieht in dem Vorschlag eine Abkehr vom Liberalisierungsgedanken in Europa. "Der skizzierte Vorschlag würde einen massiven Markteingriff darstellen, die Flexibilitäten im Markt erheblich einschränken und letztlich auch die Integration der Erneuerbaren in den Markt erschweren", so ein Unternehmenssprecher zu energate.

 

Sind zentralisierte Maßnahmen wirklich besser?

 

Eine Sprecherin von Engie bezweifelte indes, dass zentralisierte Maßnahmen wirklich effizienter seien. "Direktvermarkter agieren innerhalb eines regulierten Rahmens und tragen durch kurzfristige Handelsentscheidungen zur Systemeffizienz bei." Sie warnte davor, dass die Einsatzübertragung auf Netzbetreiber im Umkehrschluss zu Ineffizienzen führen könne. Denn die Netzengpassmaßnahmen bedürfen der Kenntnisse über die technische und vertragliche Vielfalt von Wind- und PV-Anlagen. Ein Wissen, das die Direktvermarkter durch die Nähe zu den Anlagen hätten - ganz im Gegensatz zum Übertragungsnetzbetreiber. Die technische Umsetzbarkeit erfordere daher zusätzliche Daten- und Kommunikationsprozesse, deren Umsetzung komplex sei - ohne dass ein klarer Mehrwert für die Netzstabilität erkennbar sei, so die Sprecherin. Sie erinnerte auch daran, dass viele Anlagenbetreiber über PPAs an langfristige Lieferverpflichtungen gebunden seien. Eine zentrale Steuerung könne diese Erfüllung der Verträge gefährden.

 

Vorschlag macht Marktintegration erneuerbarer Energien unattraktiver

 

Auch bei Vattenfall kam der Vorschlag nicht gut an. Das schwedische Unternehmen sieht in dem Vorstoß eine Schwächung zentraler Investitionsanreize in erneuerbare Energien. "Die marktliche Flexibilität würde eingeschränkt und Investitionen in einen systemdienlichen Betrieb unattraktiver", so ein Vattenfall-Sprecher auf Anfrage. Die Befürchtung der Direktvermarkter: Statt die Marktintegration erneuerbarer Energien zu fördern, würde der Amprion-Vorschlag diese ausbremsen. "Netzbetreiber sollten nicht in die Steuerung von Erzeugungsanlagen eingreifen - das ist die Aufgabe der Direktvermarkter, die marktgetrieben und bilanzkreistreu handeln", wurde Vattenfall deutlich.

 

Monopolist gegen Markt?

 

Daniel Hölder, Head of Global Policy & Markets bei Baywa Re, äußerte seinen Unmut über den Vorschlag auf dem sozialen Netzwerk "LinkedIn". Er bezeichnete das Konzept als einen "weiteren Vorschlag eines Monopolisten, den Markt im Strombereich zu begrenzen, man könnte auch abzuschaffen sagen", so die deutlichen Worte Hölders. Ähnlich wie Engie sieht er keine Vorteile in einem zentral gesteuerten Energiesystem. "Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass ein Monopolist nicht an den Markt glaubt", so sein polemisches Urteil.

 

50 Hertz: Aufruf zum Branchendialog

 

Im Angesicht dieser erwartbaren Kritik äußerte sich auch Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung des ostdeutschen Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz, gegenüber energate zurückhaltend. Die Übertragungsnetzbetreiber hatten sich zu dem Amprion-Konzept im Vorfeld der Präsentation abgestimmt. Dementsprechend formulierte auch Kapferer keine Kritik an dem Vorschlag. Er betonte vielmehr angesichts wachsender Herausforderungen im Systembetrieb, dass Handlungsbedarf bestehe, "um absehbare Systemsicherheitsrisiken zu reduzieren". Central-Dispatch-Elemente seien ein denkbarer Lösungsweg, um den Redispatchbedarf auf ein handhabbares Maß zu begrenzen. "Es wird aber definitiv Instrumente brauchen, die erhebliche Veränderungen des Energiemarkts nach sich ziehen." 50 Hertz rief deshalb - analog zum Vorschlag von Amprion - zum Branchendialog auf, um mit allen relevanten Marktakteuren über Lösungswege zu diskutieren. /rh

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