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Subventionen bremsen und so Marktkräfte entfesseln?

Essen (energate) - Mehr Markt wagen und unnötige Subventionen abschaffen. Unter diesem Motto lässt sich der energate-Talk "Zwischen Innovation und Intervention: Wohin steuert der Strommarkt?" zusammenfassen. Egal ob beim Industriestrompreis, dem Kapazitätsmarkt, der Integration von Flexibilitäten ins Energiesystem oder lokalen Preissignalen. Die Teilnehmer des Talks wünschten sich bei all diesen Themen weniger Staat und mehr Marktpartizipation.

 

So beschrieb Peter Reitz, Vorstandsvorsitzender der Strombörse EEX, subventionierte Strompreise wie beim angedachten Industriestrompreis als das "Schlechteste, was dem Markt passieren kann". Jannik Schall, Mitgründer und CPO des Cleantech-Unternehmens 1Komma5 Grad, nannte staatliche Strompreissubventionen "extrem gefährlich". Christoph Maurer, Geschäftsführer des energiewirtschaftlichen Beratungsunternehmens Consentec, hielt staatliche Interventionen wiederum nur dann für zielführend, wenn der Staat ein Marktversagen erkennbar identifiziert und gezielt ausgleicht. Auch Tobias Heyen, Senior Originator beim Energiedienstleister Engie, stimmte in diese Gemengelange ein. Den Industriestrompreis nannte er einen "sozialwirtschaftlichen Festpreis", dessen Nutzen in keinem Verhältnis zu seinen negativen Auswirkungen stünde.

 

Subventionen verzögern strukturelle Anpassungen

 

Also alles plumpes Staats-Bashing von Turbokapitalisten, die in Subventionen Gift sehen, solange es nicht dem eigenen Geschäftszweck dient? Ganz im Gegenteil war die Diskussion vielschichtiger. So gab Maurer beim Industriestrompreis zu bedenken, dass in Deutschland und Europa der Strompreis absehbar höher ausfallen wird als in Übersee. Ein subventionierter Industriestrompreis erhalte somit langfristig nur unproduktive Sparten am Leben, koste Ressourcen und Produktivität und eröffne Wege für Lobbyarbeit. Stattdessen müsse sich darauf konzentriert werden, zukunftsfähige Strukturen zu schaffen. Auch Schall stieß in dieses Denkmuster. Die Subvention von Strompreisen sei insofern "gefährlich", da sich dadurch notwendige strukturelle Anpassungen verzögerten. Subventionen sorgten zwar kurzfristig für Erleichterungen. Langfristig gebe es aber keine nachhaltigen Veränderungen - die Subventionen verlaufen irgendwann im Sande und strukturell habe sich nichts getan, so Schalls Befürchtung. Heyen sprach sich daher in Bezug auf den Industriestrompreis dafür aus, dieses Instrument zumindest mit Dekarbonisierungsanforderungen bei den Unternehmen zu verknüpfen.

 

Auch Börsenchef Reitz warnte davor, dass Subventionen immer zu Investitionsstau führten. Markteingriffe hätten "massive Auswirkungen" auf das Gesamtsystem. Er illustrierte seine Logik am Beispiel des geplanten Kapazitätsmarktes. Das Bundeswirtschaftsministerium will bis 2027 einen technologieoffenen Kapazitätsmechanismus einführen. Der Monitoringbericht wirbt für einen zentralen Kapazitätsmarkt nach belgischem Vorbild. Für Reitz ein Fehler. Denn ein Kapazitätsmarkt erwecke immer auch Erwartungshaltungen bei den Kraftwerksbetreibern. Diese würden erst dann investieren, wenn die Subvention bereitstünde - es drohen Zeitverzögerungen. Außerdem zerstöre der Kapazitätsmarkt andere Business Cases, setze Fehlanreize und dränge marktliche Flexibilitätsbereitsteller aus dem Markt. Im Ergebnis gebe es dann eine Subventionsspirale, da der Kapazitätsmarkt viele Flexibilitätsanbieter aus dem Markt dränge.

 

Kann der Markt Versorgungssicherheit leisten?

 

Der EEX-Vorstandsvorsitzende setzte sich stattdessen dafür ein, den bestehenden Energy-only-Markt weiterzuentwickeln. Er wiederholte dabei seine bereits bekannte Forderung, den Terminmarkt mit einer Absicherungspflicht für Stromlieferverträge zu stärken. Versorgungssicherheit lasse   sich so über den Markt organisieren - eine laut Reitz sehr viel günstigere Variante gegenüber dem Kapazitätsmarkt. Bereits im Juli 2024 hatte die EEX dazu eine Studie bei dem Beratungshaus Connect Energy Economics in Auftrag gegeben. Studien-Autor Marco Nicolosi, Geschäftsführer von Connect Energy Economics, betonte damals analog zu Reitz, dass Kapazitätsmärkte zu einer dauerhaften Fördernotwendigkeit führen. Widerspruch kam jedoch von Maurer. Zwar sei auch er "kein Fan von Kapazitätsmärkten". Die vorgeschlagene Hedging-Pflicht hält Maurer aber für zu komplex, um praxistauglich zu sein.

 

Was ist mit dezentralen Flexibilitäten?

 

Eine ganz andere Sorge äußerten Schall und Heyen in Bezug auf den Kapazitätsmarkt. Beide erinnerten daran, dass subventionierte Versorgungssicherheit über Gaskraftwerksausschreibungen Strukturen schaffe, die der Staat über Jahrzehnte im Markt erhält. "Nur über Gaskraftwerke zu sprechen, ist zu kurz gedacht", mahnte daher Engie-Manager Heyen. Sollte der Kapazitätsmarkt kommen, müsse dieser unbedingt sicherstellen, nicht nur zentrale Kraftwerksblöcke zu forcieren. Schall verwies in diesem Zusammenhang auf eine Roland-Berger-Studie, die 1Komma5 Grad zusammen mit anderen Energieunternehmen Ende September präsentiert hat. Demnach können dezentrale Lösungen bis zu 255 Mrd. Euro generieren. Aufgabe des Staates sei es nun, dieses dezentrale Flexibilitätspotenzial mit entsprechenden Rahmenbedingungen anzureizen, so Schall.

 

Staat muss Rahmenbedingungen setzen - nicht in den Markt eingreifen

 

Diese Forderung fand bei den übrigen Diskutanten Zustimmung. Sie alle definierten die Rolle des Staates als Rahmengeber, den der Markt mit Leben füllt. Schall zeigte sich auch darüber irritiert, dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) zwar mehr Markt fordere, mit der Einführung eines Kapazitätsmechanismus und den Gaskraftwerksausschreibungen jedoch faktisch mehr Staat schafft. Maurer nannte Großbatteriespeicher als Sinnbild für die fehlenden Rahmenbedingungen. "Speicher können so viel, da kommt das Marktdesign derzeit nicht mit", so der Consentec-Geschäftsführer.

 

Es sei Aufgabe des Staates, dieses Marktdesign zu schaffen. Dafür brauche es kleinere Preissignale für mehr Netzdienlichkeit - sowohl auf lokaler als auch auf zeitlicher Ebene. Auch der erst kürzlich eingeführte 15-Minuten-Handel werde langfristig nicht ausreichen. "Assets, die sehr kurzfristig reagieren können, brauchen echte lokale Anreize", machte Maurer klar. Auch Reitz betonte, nicht gegen lokale Preise zu sein - sehr wohl aber gegen den Preiszonensplit. Die Epex Spot habe in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden sogar bereits lokale Flexibilitätsmärkte etabliert.

 

Digitalisierung muss endlich kommen

 

Tobias Heyen brachte noch ein ganz anderes Damoklesschwert in die Diskussion ein. Er mahnte, dass alle Diskussionen über ein neues Marktdesign, lokale Preissignale und dezentrale Flexibilitäten nur dann eine Chance hätten, wenn endlich die Digitalisierung des Netzes vollumfänglich einsetze. Derzeit gebe es keine Anreize zur Digitalisierung für Netzbetreiber - für Heyen eine ganz klare Aufgabe des Staates, diese zu setzen. Heyen ist mit dieser Forderung nicht allein. Auch Ralph Kremp, aufseiten des BET verantwortlicher Autor des Monitoringberichts, forderte im Interview mit energate die Netzbetreiber auf, ihre IT endlich auf Vordermann zu bringen. /rh

 

Die Aufzeichung des energate-Talks ist kostenlos online verfügbar.

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