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Reservekraftwerke: alt, teuer - und unerlässlich?

Bonn/Dortmund/Düsseldorf/Essen/Karlsruhe (energate) - Deutschlands Reservekraftwerke sollen die Versorgungssicherheit garantieren. Doch der Betrieb der zum Teil in den 1960er-Jahren gebauten Blöcke ist teuer, aufwendig und stellt die Betreiber zunehmend vor Herausforderungen. Währenddessen lässt die Kraftwerksstrategie und damit der Neubau von Kraftwerkskapazitäten auf sich warten. Für Amprion-CEO Christoph Müller ist daher klar: Es braucht eine Reservekraftwerksstrategie, die verbindlich klärt, ob und welche Kohlekraftwerke über 2031 hinaus als Reserve benötigt werden. "Wir plädieren dafür, alle relevanten Partner zeitnah an einen Tisch zu holen und eine belastbare Reservekraftwerksstrategie zu beschließen", so der Chef des nordrhein-westfälischen Übertragungsnetzbetreibers gegenüber energate.

 

Müller sieht zurzeit "keine Anzeichen, dass die vielen Kraftwerksneubauten auch kommen". Eine belastbare Reservekraftwerksstrategie hat aus seiner Sicht drei zentrale Bausteine. Erstens dürften keine Steinkohlekraftwerke mehr vom Netz gehen, solange nicht verlässlich klar ist, wann neue Kapazitäten in Betrieb gehen. Es brauche zweitens einen weiterentwickelten Rechtsrahmen für die Netz- und Kapazitätsreserve, um diese Anlagen auch aufgrund von solchen Versorgungssicherheitsbedenken erhalten zu dürfen. Und es sei drittens unerlässlich, dass die Kraftwerksbetreiber klare Planungssicherheiten im Hinblick auf Laufzeit, Genehmigung und Wirtschaftlichkeit der Reservekraftwerke erhielten.

 

Reservekraftwerke haben Greisenalter erreicht

 

Die Zeit drängt. Denn die Kraftwerksbetreiber kommen langsam, aber sicher an die technischen Grenzen eines sicheren und verlässlichen Weiterbetriebs ihrer Anlagen. "Die Anlagen haben für Kraftwerksverhältnisse inzwischen regelrecht ein Greisenalter erreicht", erklärte Uniper-COO Holger Kreetz während eines Redaktionsbesuches in Essen. Sein Unternehmen investiere in den nächsten fünf Jahren einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag allein für die Instandhaltung der Kraftwerksblöcke Scholven B und C. "Und dieses Geld müssen wir in die Hand nehmen, um die Kraftwerke überhaupt betriebsfähig zu halten. Das Geld wird natürlich am Ende auf die Netznutzungskosten umgelegt. Das ist Wahnsinn", so Kreetz' deutliche Worte. Er blicke daher mit "zunehmenden Sorgen" auf die insgesamt sechs Reservekraftwerksblöcke Unipers. Es sei dringend notwendig, die Kohlekraftwerke durch GuD-Anlagen zu ersetzen.

 

Im Hinblick auf die Versorgungssicherheit stellen die alternden Kraftwerksblöcke noch andere Herausforderungen dar. Mit steigendem Lebensalter werden Wartung und Instandhaltung aufwendiger. Die Anzahl der Revisionsmaßnahmen nimmt perspektivisch weiter zu. Gleichzeitig steigt die Einsatzzeit der Reservekraftwerke, weil immer mehr konventionelle Kraftwerksleistung vom Netz geht. Allein zwischen Oktober 2024 und Mai 2025 kamen die sechs Reservekraftwerke der Steag auf 162 Einsatztage und fast 2.000 Betriebsstunden, wie das Unternehmen auf Nachfrage der Redaktion mitteilte.

 

Mitarbeitersuche wird schwerer

 

Der Kraftwerksbetreiber EnBW bringt neben den Kosten- auch Personalprobleme zur Sprache. So werde es immer schwieriger, geeignete Servicefirmen für die teilweise über 50 Jahre alte Technik der Kraftwerke zu finden, hieß es aus Karlsruhe. Hinzu komme die aufwendige Qualifizierung von Mitarbeitenden. Komplexer werde zudem der Erhalt der notwendigen Logistikkette zur Kohlebeschaffung bei gleichzeitig stark reduziertem Kohleverbrauch.

 

Ebenso wie die baden-württembergische EnBW sieht auch die nordrhein-westfälische Steag Schwierigkeiten bei der Mitarbeitersuche. So habe bei der Steag die "energiepolitische Achterbahnfahrt" der letzten Jahre zu einer personellen Verunsicherung geführt. Die immer wieder erfolgende Verlängerung der Systemrelevanz erschwere es, Planbarkeit zu schaffen und eine Zukunftsperspektive zu bieten. So liege das Durchschnittsalter der Steag-Kraftwerker inzwischen bei rund 55 Jahren. "Da mit den Reservekraftwerken keinerlei Renditen erwirtschaftet werden können, werden auch die Investitionsspielräume zur Weiterentwicklung der Standorte stark eingeengt. Das wirkt sich auf die Kraftwerker und ihre beruflichen Perspektiven aus", so das Essener Unternehmen.

 

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) betonte gegenüber energate, dass die Betreiber dazu verpflichtet sind, ausreichend Betriebspersonal vorzuhalten. "Sie können sich nicht darauf berufen, zu einem bestimmten Zeitpunkt über zu wenig Personal zu verfügen und in der Folge auf weitere Bemühungen der Personalbeschaffung verzichten", stellte die Regulierungsbehörde klar. In ihren Augen führen die langfristigen Systemrelevanzausweisungen bis 2031 zu einer "gesteigerten Planungssicherheit hinsichtlich der (Mindest-)Dauer des Weiterbetriebs". Dem demografisch bedingten Personalabbau könne so durch eine frühzeitige Qualifizierung von neuem Betriebspersonal begegnet werden.

 

Kraftwerksneubau unerlässlich

 

Einig sind sich jedoch alle Beteiligten bei der Frage, wie künftig die Versorgungssicherheit garantiert werden soll. Sowohl Amprion als Übertragungsnetzbetreiber, die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde als auch die befragten Kraftwerksbetreiber sprachen sich eindringlich dafür aus, neue steuerbare Kapazitäten zu bauen. Solange kein Kraftwerksneubau erfolgt, sei es weiterhin notwendig, "die Stilllegung fossiler Kraftwerke zu untersagen und sie in der Netzreserve vorzuhalten", stellte die BNetzA klar. Genau deshalb setzt sich Amprion-Chef Müller dafür ein, eine Reservekraftwerksstrategie zu beschließen. "Wir benötigen einen verlässlichen Fahrplan und müssen zeitnah gemeinsam mit der BNetzA, der Politik und Kraftwerksbetreibern Vorkehrungen in Form von angepassten Planungsprozessen treffen", so sein Appell. /rh

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