Netzanschluss-Misere: Druck auf Bundesnetzagentur steigt
Hannover (energate) - Die Auseinandersetzung um die Netzanschlussproblematik von Batteriespeichern gewinnt weiter an Brisanz. Standen bislang insbesondere Netzbetreiber und Speicherprojektierer im Clinch, rückt nun zunehmend die Rolle der Bundesnetzagentur und der Bundesregierung in den Fokus. "Was ich mittlerweile echt betrüblich finde: Politik und Bundesnetzagentur stehen erschrocken vor einem Problem und lassen Netzbetreiber und Projektierer allein im Regen stehen", erklärte Matthias Boxberger, Finanzvorstand des Energieversorgers Avacon, im Gespräch mit energate. Eine bundesweite Lösung sei dringend notwendig. "Netzbetreiber und Projektierer können und wollen Teil der Lösung sein. Aber den Rahmen müssen Bonn und Berlin liefern", so Boxberger.
Netzanschlussproblematik spitzt sich in Deutschland überregional zu
Die Netzanschlussproblematik von Batteriespeichern konzentrierte sich in den vergangenen Monaten vor allem auf das Übertragungsnetz. Inzwischen liegen den vier Übertragungsnetzbetreibern über 500 GW an Anschlussfragen vor, ein großer Teil davon kommt von Speicherprojektierern. Im Zentrum der Kritik steht dabei die Kraftwerksnetzanschlussverordnung (KraftNAV). Die KraftNAV ist ein Sonderregime für Erzeugungsanlagen größer als 100 MW. Diese werden im Hoch- und Höchstspannungsnetz nach dem Prinzip "First come, first served" angeschlossen - das sogenannte Windhundprinzip.
Bereits im Juli 2025 haben sich die Übertragungsnetzbetreiber für eine Weiterentwicklung dieses Rechtsrahmens ausgesprochen. Sie sprachen sich dafür aus, künftig nicht mehr nach dem Datum die Anträge abzuarbeiten, sondern nach Kriterien wie Systemsicherheit, Realisierungschancen und nach dem Reifegrad der Projekte zu priorisieren. Einen anderen Vorschlag haben die Bundesländer gemacht. Sie haben sich in einer Bundesratssitzung am 26. September auf einen Vorschlag geeinigt, der Batteriespeicher aus der KraftNAV herausnehmen soll.
Auch das Verteilnetz stark betroffen
Doch nicht nur im Übertragungsnetz gibt es eine Vielzahl von Speicherprojekten. Auch im Verteilnetz werden die Netzbetreiber aktuell von Netzanschlussanfragen überrannt. "Netzanschlüsse stellen absehbar das größte Bottleneck im Speichermarkt dar", erklärte etwa Thomas Antonioli, Gründer und CFO Speicherprojektierers Terra One, bereits im Januar 2025. Bei Avacon wird die Dimension dieses Problems deutlich. Gingen dem niedersächsischen Unternehmen zwischen 2022 und 2024 noch 1.100 Anfragen mit einer Gesamtleistung von mehr als 75.000 MW ein, sind es inzwischen über 2.500, wie Boxberger erklärte. Dabei wendet Avacon das Windhundprinzip auch jenseits der KraftNAV an. "Das hat etwas mit Diskriminierungsfreiheit zu tun", so der Avavon-Vorstandschef. Der Vorschlag der Bundesländer hätte also im Verteilnetz keine Grundlage, hier sind eigene Lösungen gefragt.
Bundesnetzagentur-Vizepräsidentin Barbie Haller hatte auf einer Tagung in Düsseldorf klargemacht, dass die Behörde generell für eine Reform des Windhundprinzips gesprächsbereit sei. Haller gab jedoch zu bedenken, dass die aktuell kursierenden Lösungsvorschläge der Netzbetreiber in Bonn für keine Begeisterung sorgen. "Wenn wir nach Produktreife unterscheiden, werden wir sehr tief in die verschiedenen Projekte einsteigen müssen", sagte die Vizechefin der Regulierungsbehörde. Oberstes Gebot sei, dass das Anschlussverfahren klare, diskriminierungsfreie und transparente Bedingungen biete. Haller gab in Düsseldorf außerdem zu Protokoll, dass Verteilnetzbetreiber nicht an das Windhundprinzip gebunden seien und im Grunde eigenmächtig über ihr Vorgehen im Netzanschlussprozess entscheiden könnten.
Für Boxberger schießen diese Aussagen vollkommen am Ziel vorbei. "Wir haben ein landesweites Problem, eine bundesweite energiepolitische Diskussion: da kann ich doch eigentlich nur über eine einheitliche Lösung nachdenken."
Kriterienkatalog als Lösung?
Dennoch hat der Chef der niedersächsischen Eon-Tochter auch Lösungsvorschläge im Gepäck. Er sprach sich für die Schaffung eines Kriterienkatalogs aus, nach der künftig eine Priorisierung stattfinden soll. Als Netzbetreiber konzentrieren sich diese Kriterien naturgemäß darauf, die Netzdienlichkeit von Speichervorhaben zu priorisieren. Zudem brauche es Klarheit über die Ernsthaftigkeit der Projekte. "Ich habe zu oft die Situation, dass alle ihr Handtuch auf eine Liege legen wollen. Die, die wirklich schwimmen können und wollen, müssen anders behandelt werden als die, die morgens ihr Handtuch auf die Liege legen und den Tag an der Bar verbringen", so die Metapher Boxbergers. Damit spielt der Finanzvorstand auf Projektierer an, die für ein Projekt viele verschiedene Netzknotenpunkte anfragen. Für Boxberger ein Vorgehen, das "aus Not geboren" sei, am Ende aber allen Beteiligten Zeit und Nerven koste. Darüber hinaus sprach sich der Avacon-Chef dafür aus, Bestandskunden mit einem Leistungserhöhungswunsch Vorfahrt zu geben.
Zeit drängt, da Netzentgeltbefreiung 2029 ausläuft
Offen bleibt die Frage, wie es nun in Zukunft mit den Netzanschlussanfragen weitergehen soll. Aus Branchenkreisen wurde gegenüber energate von verschiedenen Projektierern die Dringlichkeit einer Lösungsfindung betont. Schließlich droht mit der Neuaufstellung der Netzentgeltsystematik im Jahr 2029 die Netzentgeltbefreiung für Batteriespeicher zu entfallen. Die Projektierer drängen daher darauf, noch vor 2029 ans Netz zu kommen. Ein Anliegen, das bereits heute mehr als ambitioniert ist. Beim ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz sind die Anschlusskapazitäten bis 2029 erschöpft. Und auch bei Avacon geht Boxberger davon aus, einen Großteil der Anfragen erst in der kommenden Dekade befriedigen zu können. Auf energate-Anfrage gab das Bundeswirtschaftsministerium an, den Vorschlag des Bundesrats mit einer Gegenäußerung zu kontern. Konkrete Details wollte der Sprecher jedoch nicht nennen. Für Boxberger hingegen ist klar, dass die Verantwortung für diese Lösungsfindung bei der Bundesnetzagentur liegt. /rh
Das komplette Interview mit Matthias Boxberger lesen Sie im heutigen Strom-Addon.