Mieterstrom lohnt sich, aber bleibt komplex
Essen (energate) - Mieterstromprojekte gelten als Schlüssel zur dezentralen Energiewende - und doch bleiben sie vielerorts noch die Ausnahme. Beim energate-Talk "Mieterstrom smart gedacht" diskutierten Vertreter aus Energiewirtschaft, Immobilienbranche und Recht über Chancen, Herausforderungen und konkrete Umsetzungspfade. Die zentrale Botschaft: Mieterstrom lohnt sich, für Vermieter, Mieter und Umwelt. Doch der Weg dorthin ist komplex. Der Talk fand in Kooperation mit Heuer Dialog statt.
"Mieterstromprojekte lohnen sich für alle Beteiligten", erklärte Roland Hambach, Geschäftsführer des Energiedienstleisters Enet. Vermieter könnten ihren Mietern ein attraktives Gesamtpaket bieten, das Vertrauen schafft und die CO2-Bilanz des Gebäudes verbessert. Philipp Reiners von der Hausverwaltung Anneliese Reiners bestätigte das aus Sicht der Praxis: "Rendite ist natürlich ein Thema für jeden Immobilieninvestor. Das können wir durch Mieterstrom gut realisieren, in einer Win-win-win-Situation." Vermieter, Mieter und auch Dienstleister könnten davon profitieren. Neben der wirtschaftlichen Komponente stärke Mieterstrom auch die Vermietbarkeit, da niedrigere Nebenkosten und eine nachhaltige Stromversorgung zunehmend gefragt seien.
Rechtliche Komplexität bleibt Hürde
Die Juristin Stephanie Julia Böswald von Becker Büttner Held machte deutlich, warum viele Vermieter vor Mieterstromprojekten zurückschrecken: "Das Energiewirtschaftsrecht ist in weiten Teilen reguliert." Wer Strom an Letztverbraucher liefert, werde schnell zum Stromlieferanten, mit umfangreichen Informations- und Abrechnungspflichten. Besonders für Akteure aus der Immobilienwirtschaft, die mit energiewirtschaftlichen Prozessen wenig vertraut sind, sei das eine hohe Einstiegshürde. Hinzu komme die technische Komplexität, im Bestand gebe es oft veraltete Zähler und die Digitalisierung hinkt hinterher. Dazu kämen über 700 Netzbetreiber mit unterschiedlichen Anforderungen.
Um die Umsetzung zu erleichtern, wurden in den letzten Jahren neue rechtliche Modelle geschaffen, etwa mit dem Solarpaket 1. So ermögliche die "gemeinschaftliche Gebäudeversorgung" eine vereinfachte Stromlieferung zwar ohne EEG-Förderung, aber auch ohne die vollen Pflichten eines Stromlieferanten, erklärte Böswald. Hendrik Schubert, Geschäftsführer von We Share Energy, empfiehlt das Modell des "kleinen Versorgers", bei dem der Vermieter lediglich beim Hauptzollamt angemeldet sein muss und einmal jährlich die Strommengen meldet. Das sei eine Möglichkeit, um Mieterstrom "ohne riesigen administrativen Aufwand umzusetzen".
Ein zentrales Element für die Umsetzung ist die Messinfrastruktur. "Ohne intelligentes Messsystem geht es nicht", stellte Schubert klar. Da der gesetzlich vorgesehene Smart-Meter-Rollout vielerorts stockt, arbeite We Share Energy mit wettbewerblichen Messstellenbetreibern zusammen, die die nötige Technik bereitstellen. Roland Hambach ergänzte, ein virtueller Summenzähler könne die Investition in einen physischen Summenzähler von rund 10.000 Euro ersetzen. Vorausgesetzt, alle Mietparteien und die PV-Anlage sind mit Smart Metern ausgestattet. Allerdings würden noch nicht alle Verteilnetzbetreiber diesen virtuellen Summenzähler beherrschen.
Gerichtsurteil sorgt für Unsicherheit
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs sorgt aktuell für Verunsicherung. Es schränkt die Definition von "Kundenanlagen" stark ein und könnte dazu führen, dass größere Mieterstromprojekte - etwa über mehrere Gebäude hinweg - als regulierte Verteilnetze gelten. Dann könnten Netzentgelte, Konzessionsabgaben und umfangreiche Pflichten anfallen, warnte Böswald. Besonders betroffen seien Quartierslösungen, bei denen Strom über Grundstücksgrenzen hinweg verteilt wird. Die Politik halte sich bei dem Thema derzeit zurück, und die Bundesnetzagentur würde keine abschließenden Maßnahmen treffen. Das schaffe Unsicherheit.
Um dennoch wirtschaftlich zu bleiben, setzen Anbieter auf flexible Modelle. Hambach stellte das Konzept "Mieterstrom Plus" vor, bei dem überschüssiger PV-Strom aus einem Gebäude in einem anderen genutzt wird, auch wenn Netzentgelte anfallen. "Dann habe ich an der Stelle nicht den gleichen Ertrag, aber ich habe den Strom durchaus noch sinnvoller genutzt, als ihn ins Netz einzuspeisen", erklärte Hambach.
Schubert empfiehlt beim Thema Kundenanlage, zunächst jedes Objekt einzeln zu prüfen. "Wenn die Gegebenheiten stimmen, ist Mieterstrom innerhalb eines Gebäudes absolut rentabel." Erst danach solle geprüft werden, ob eine Zusammenfassung mehrerer Objekte möglich oder Mieterstrom Plus sinnvoll ist.
Ein weiterer Hebel zur Effizienzsteigerung sind Batteriespeicher. Sie erhöhen den Eigenverbrauchsanteil und ermöglichen die Nutzung von Solarstrom auch in den Abendstunden, erklärte Schubert. Philipp Reiners bestätigte, dass neue Projekte auch mit Batterie geplant würden. Die Modellrechnungen zeigten, dass sich das lohnt.
Akzeptanz bei Mietern: Kommunikation ist entscheidend
Mieterstrom ist freiwillig, Mieter müssen aktiv zustimmen. Alexander Reiners betonte die Bedeutung der Aufklärung. Wenn die Mieter hören, wie sie sparen können, sei die Akzeptanz hoch. Besonders einfach sei die Umsetzung bei Neubauten, erklärte Philipp Reiners, wo Mieterstrom direkt mit dem Mietvertrag angeboten werde. Im Bestand sei hingegen eher "Klinkenputzen" angesagt. Die Angst, dass der Strom abgeschaltet wird, sei groß. Aber mit guter Kommunikation und konkreten Zahlen lasse sich das überwinden.
Alle Diskutanten waren sich einig: Mieterstrom ist ein wichtiger Baustein der Energiewende und wirtschaftlich attraktiv. "Einfach nicht zu viel Angst haben vor Mieterstrom", appellierte Schubert. Es gebe zwar einige Hürden, die würden sich aber alle ausräumen lassen. Die Juristin Böswald ergänzte, gerade im mittleren Segment würden noch große Potenziale liegen. Hambach fasste zusammen: "Einfach mal machen und ins Gespräch kommen." /mh
Die Aufzeichnung des Talks können Sie sich hier kostenlos anschauen.