Kraftwerksstrategie: Droht ein deutscher Sonderweg?
Berlin (energate) - In der Energiewirtschaft wächst die Sorge vor einem komplizierten und zeitaufwendigen deutschen Sonderweg bei den Kraftwerksausschreibungen. "Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem", sagte Dirk Mausbeck, Chief Commercial Officer des Kraftwerksbetreibers Onyx Power, im Rahmen des energate-Forums "Energieinfrastruktur im Wandel" in Berlin. Damit bezog er sich auf die anhaltenden Verzögerungen bei der Kraftwerksstrategie, die nach wie vor auf ihre beihilferechtliche Genehmigung durch die EU-Kommission wartet. Zuletzt hatten sich Regierungsvertreter wiederholt optimistisch gezeigt, dass eine Einigung kurz bevorstehe.
Belgischer Kapazitätsmarkt als Blaupause?
Mausbeck bereitet vor allem Sorge, dass Deutschland einen unnötig komplexen Sonderweg beim Kapazitätsmarkt einschlägt. "Wir Deutschen neigen ja ein bisschen zum Overengineering", gab er zu bedenken. Dabei gebe es mit dem belgischen Kapazitätsmarkt eine "Blaupause", die bereits seit 2021 durch die EU genehmigt ist und mehrere Ausschreibungsrunden durchlaufen hat. Onyx Power gehört zu den Unternehmen, die sich gern an einer Kraftwerksausschreibung beteiligen möchten und auf Details zu den Modalitäten warten. Es sei inzwischen "fünf nach zwölf", verlieh er seiner Ungeduld in der Debatte Ausdruck.
Ralph Kremp, Partner der Unternehmensberatung BET, warb ebenfalls für eine pragmatische Ausgestaltung. "Denn am langen Ende geht es um Investitionsentscheidungen. Und die wird nicht auf Basis eines volkswirtschaftlichen Modells getroffen, sondern auf Basis einer betriebswirtschaftlichen Rationalität", sagte er. Das spreche aus seiner Sicht für ein zentrales Modell, das ohne hohe Komplexität daherkomme und "langfristige Investitionssignale" gebe. Einig zeigten sich die Diskussionsteilnehmer, dass mit Blick auf die Versorgungssicherheit inzwischen Eile geboten sei.
Gesicherte Leistung in allen Regelzonen
Michael Jesberger, Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Transnet BW, ging auf das Thema der regionalen Verteilung der Kraftwerke ein. Laut den Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums ist in den Ausschreibungen ein "Südbonus" geplant, der süddeutschen Standorten einen Vorteil verschaffen soll. Dort ist gesicherte Leistung besonders erforderlich. Jesberger sieht indes Bedarf an Systemdienstleistungen in allen Regelzonen. Wichtig sei es, dass das Ausschreibungsdesign bundesweit eine netzdienliche Verteilung der Kraftwerke sicherstelle. "Wir brauchen gesicherte Leistung in allen Regelzonen", zeigte sich der Transnet-BW-Geschäftsführer überzeugt.
Kritik kam von Georg Gallmetzer, Geschäftsführer des Speicherbetreibers Eco Stor. Die Debatte um die Versorgungssicherheit werde immer noch zu kraftwerksfokussiert geführt. "Der Werkzeugkasten zur Herstellung der Systemsicherheit hat mindestens zwei neue Werkzeuge: Batteriespeicher und weitere Flexibilitätsoptionen aus dem Agnes-Prozess", gab er zu bedenken. Der Eco-Stor-Chef verwies zudem auf die dynamische Entwicklung im Speichermarkt, die man ebenfalls berücksichtigen sollte. "Ich bin überzeugt, dass die Bewertung, welcher Technologiemix das volkswirtschaftliche Optimum darstellen, in zwei bis drei Jahren noch mal ganz anders ausfallen wird als heute", sagte er. Neue Gaskraftwerke hätten dann sicherlich "nicht die höchste wirtschaftliche Effizienz".
"Schnell in die Umsetzung kommen"
Dem stimmte Berater Kremp zumindest in Teilen bei. Er nehme die Debatte zur Versorgungssicherheit "sehr stark polarisierend" wahr. Dabei gehe es nicht um die Frage Gaskraftwerke oder Flexibilitäten, sondern vielmehr um ein Sowohl-als-auch, "weil wir beides benötigen werden und auch relativ schnell in die Umsetzung kommen müssen", so sein Schlussplädoyer. Laut den jüngst bekannt gewordenen Plänen der Regierungskoalition sollen im kommenden Jahr Ausschreibungen über insgesamt 10 GW steuerbare Kraftwerkskapazitäten erfolgen. Davon sollen 8 GW auf neue Gaskraftwerke entfallen. Weitere 2 GW sollen technologieoffen ausgeschrieben werden. /rb