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Industrienetzentgelte entzweien produzierendes Gewerbe

Bonn (energate) - Bei einem Workshop der Bundesnetzagentur (BNetzA) zu den geplanten Reformen der Industrienetzentgelte wurde eines deutlich: Die Industrieunternehmen sind gespalten. Die Vorschläge der Bonner Behörde stießen sowohl auf Wohlwollen als auch Widerspruch. Wieder andere hoffen darauf, dass alle drei zur Diskussion stehenden Modelle später parallel eingeführt werden, weil sie sich noch nicht festlegen wollen oder können. energate war bei dem Workshop dabei.

 

Die drei Optionen der BNetzA

 

Die Behörde präsentierte Ende September drei Modelle für eine Neuregelung der Industrienetzentgelte zur Ablösung der bisherigen Bandlastprivilegien. Alle Vorschläge haben gemeinsam, dass die Vergünstigungen mit einer klaren Gegenleistung in Form der Flexibilisierung der "Abnahmestelle" verknüpft sind. Ob dies aus der Anpassung von Produktions- oder Nebenprozessen entsteht oder beispielsweise einer Speichernutzung, bleibt den Unternehmen belassen.

 

Bei der ersten Option soll sich die Stromnachfrage der energieintensiven Industrie an der Preisentwicklung des Spotmarkts orientieren. Ziel ist es, bei hohem Angebot aus den Erneuerbaren Energien die Netze zu entlasten, indem aktiv Strom entnommen wird. Die zweite Option hingegen umfasst die netzdienliche Flexibilisierung. Die Netzbetreiber treten hier stärker in Aktion und definieren Zeitfenster, in denen Stromverbrauchsanpassungen netzdienlich wirken. In der dritten Variante ist der Einfluss der Netzbetreiber noch höher. Dabei können sie die Industrieunternehmen auffordern, Lasten zu drosseln oder zu erhöhen.

 

Papierindustrie zeigt sich flexibel

 

Vor allem die erste Option hat es Michael Warmuth, Manager Energy bei UPM Communication Papers, einem Unternehmen für graphische Papiere, angetan. Denn damit habe UPM im Kopernikus Projekt "SynErgie" bereits erste Erfahrungen gemacht. Flexibilität könne in seiner Branche bereits heute praktisch umgesetzt werden: Mit KWK-Anlagen, Power-to-Heat-Technologien und Speichern könne man Lasten verschieben und an den Strommärkten agieren. Außerdem habe das Unternehmen die Herstellung von Rohpapier so energieflexibel ausgelegt, "dass wir diesen Stoff zu energiepreisgünstiger Zeit produzieren und diesen zwischenspeichern können". Jeder Unternehmensstandort sei zwar sehr unterschiedlich und heterogen in den Flexibilitäten, doch die Erfahrungen ließen sich auf andere Standorte übertragen. Warmuth betonte: "Wir würden uns im Endeffekt anbieten als einer derjenigen, die flexibel sind." Ziel sei es nun zu lernen, bevor eine Festlegung in Stein gemeißelt sei, sagte er.

 

Glas- und Chemieindustrie sehen kaum Spielräume

 

Während in der Papierindustrie schon fast Euphorie herrscht, stehen die Glas- und die Chemieindustrie dem Ganzen skeptischer gegenüber. So äußerte sich Stefan Schmitt, Head of Melting Technology der Schott AG, dass die Glasproduktion kaum Flexibilität zulasse: Eine Schmelzanlage laufe 24/7, über Jahre hinweg. "Wenn eine Anlage einmal unter Feuer ist, dann wird sie auch nie wieder ausgemacht", so Schmitt. Die Anlagen seien auf mindestens 15 Jahre Laufzeit ausgelegt. "Alles, was heute schon da steht, werden wir in den nächsten 15 Jahren nicht ändern können", betonte er. Für die Produkte und Anlagen sei es notwendig, konstant zu fahren. Auch in Probe-Projekten konnte das Flexibilisierungspotential nicht bestätigt werden. Es gebe keine wirtschaftlich realisierbaren Ansätze zur Flexibilisierung des Stromeinsatzes, betonte Schmitt. Die angedachte regulatorische Änderung führe daher ausschließlich zu weiteren wirtschaftlichen Belastungen, führte er aus.

 

Auch in der Chemieindustrie herrscht wenig Variationsspielraum. Für die chemische Industrie sei es "ein mittleres Wunder", sollten überhaupt flexible Produktionsprozesse etabliert werden können, sagte Martin Trennhaus, Leiter Controlling und Energiemanagement bei Vestolit GmbH und Vertreter des VCI. Umso problematischer sei es, wenn bestehende Regelungen ersatzlos ausliefen. "Es wäre aus unserer Sicht sehr wünschenswert, wenn diese Ausnahmeregelung in welcher Form auch immer fortgesetzt würde", betonte er.

 

Modelle nicht als Best-of-Variante zu verstehen

 

Doch muss nur eine Option für alle greifen? Diese Frage stellte sich unter anderem Roderik Hömann, Leiter Energie und Klima der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Er sprach sich für eine Parallelität von zwei Optionen aus. Die Stahlindustrie falle zwar bislang aus der Bandlastregel raus, so Hömann. "Aber viele Unternehmen nutzen die atypische Netznutzung und können da wirklich Flexibilitätspotenziale beitragen." Zwar werde die Planbarkeit von langfristigen Prozessen erschwert, jedoch spreche viel für die Kombination aus der ersten und zweiten Option. "Man muss Netz und Markt im Blick halten", sagte Hömann. Dies sei so möglich.

 

Entgegen so mancher Hoffnung aus der Branche, sind die drei Vorschläge der Bundesnetzagentur allerdings nicht als parallele Lösungen zu verstehen. "Ein Best-of ist eine Forderung, die wir befürchtet haben. Aber eine solche Lösungsvariante streben wir nicht an", so Achim Zerres, Abteilungsleiter Energie bei der Bundesnetzagentur. Die drei Modelle seien ein Vorschlag. Unternehmen, die ein anderes, klügeres Modell haben, sollen sich bei der BNetzA melden. "Wir sind dann offen dafür", merkte Zerres an. Insgesamt mahnte er aber an, dass der Rabatt als solches kein Selbstzweck sei. "Wir brauchen eine Regelung, die eine entsprechende Gegenleistung fürs Gesamtsystem oder die Netze mitbringt." Die Konsultation läuft noch bis zum 21. Oktober. Weitere Vorschläge können bis dahin eingereicht werden. 

 

Germanwatch bringt eigenes Modell an - und fällt direkt durch

 

Mit einem eigenen Konzept meldete sich die Umweltorganisation Germanwatch zu Wort. Referent Henri Schmitz sprach sich für eine "Abschmelzung" der Bandlast-Rabatte bis 2030 aus. Es solle ein flexibilitätsförderndes Sonderentgelt eingeführt werden, das Rabatte an nachweisbare Anpassungen in Zeiten angespannter Netzsituationen koppelt. Das Modell sehe parallel dazu jedoch noch eine staatliche Beihilfe für nicht-flexible Industrien vor - außerhalb der Netzentgelte. Diese Beihilfe solle befristet sein und 2035 enden.

 

Vertreter aus der Industrie reagierten darauf alarmiert. Ein Teilnehmer betonte, er fühle sich "plötzlich mit dem BNetzA-Vorschlag sehr viel wohler". Er warnte zudem: "Wenn die Maßnahmen 2035 auslaufen, würden wir keine Investitionen mehr tätigen." Auch die Bundesnetzagentur machte klar, dass man nicht einfach davon ausgehen könne, Härtefälle durch die Staatskasse zu mildern. Unsere Unabhängigkeit geht auf keinen Fall so weit, dass wir jetzt plötzlich in der Lage wären, Entscheidungen für den Bundeshaushalt zu treffen", so Zerres. "Das kann nicht unser Anspruch sein. Da fühlt mir die Bundesregierung den Puls", hieß es von dem Behördenvertreter weiter. /hp

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