Industrienetzentgelte: BNetzA präsentiert drei Optionen
Bonn (energate) - Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat ein Diskussionspapier zur Reform der Netzentgelte für Industrie und Gewerbe vorgelegt. Dabei macht sie drei Vorschläge, die jeweils eine "machbare Gegenleistung für die Gewährung eines Netzentgeltrabatts einfordern". Die Ansätze sollen sicherstellen, dass Rabatte für Netzentgelte künftig nur noch gegen "konkrete systemstützende Leistungen" gewährt werden. Die Regulierungsbehörde stellt der Industrie zugleich Übergangsregelungen in Aussicht, um Planungssicherheit zu gewährleisten. Im Rahmen der Reform der Netzentgelte plant die Bundesnetzagentur, die bislang gültige "Bandlast-Regelung" zu streichen. Stattdessen sollen die Netzentgelte eine stärkere Flexibilität beim Strombezug anreizen.
Der bisherige Rechtsrahmen (§ 19 Abs. 2 StromNEV) belohnt große Stromverbraucher mit Rabatten für einen gleichmäßigen Stromverbrauch. Das sogenannte Bandlastprivileg besagt, dass Unternehmen mit mehr als 7.000 Vollbenutzungsstunden im Jahr ein rabattiertes individuelles Netzentgelt erhalten können. Rund 560 Unternehmen - darunter Chemie-, Metall- und Papierindustrie - profitieren derzeit davon und sparen laut BNetzA jährlich rund 1,4 Mrd. Euro. Doch das Modell gilt als überholt: Es hemmt die Integration erneuerbarer Energien und läuft überdies nach einem EuGH-Urteil spätestens Ende 2028 aus.
Ziel: Industrielle Lasten flexibilisieren
Teile der Industrie wehren sich dennoch gegen die geplanten Änderungen. So berichtet die Bundesnetzagentur über Stimmen, die allein in der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Produktionsstandorte die gewährten Netzentgeltrabatte gerechtfertigt sehen. Beiträge einer vorangegangenen Konsultation warnten zudem vor erhöhten Produktionskosten durch Flexibilisierung. In dem Diskussionspapier entkräftet die Bundesnetzagentur diese Argumente: Die Netzentgeltregulierung dürfe "ausdrücklich nicht als Mittel zur Umsetzung politischer Ziele genutzt werden", heißt es darin.
Die Behörde halte sich aus politischen Debatten heraus und sehe in der Reform die Chance, industrielle Lasten stärker in den Dienst der Energiewende zu stellen. Zudem sei die Bandlast nicht mehr "privilegierungswürdig". Ziel sei es, "das Potential von Lasten als Flexibilitäten für das System der Energieversorgung nutzbar zu machen", erklärte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Künftig sollen Rabatte nur noch bei nachweisbarer systemdienlicher Gegenleistung gewährt werden. Dazu zähle die Lastverschiebung, der Betrieb von Speichern oder wenn Netzbetreibern Steuerungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Ein Verweben von Bandlast und Flexibilisierung, wie es teils von der Industrie gefordert wurde, sei "sinnwidrig", heißt es in dem Diskussionspapier. Es handle sich um zwei gegenläufige Verhaltensweisen.
Option 1: Ausrichtung am Spotmarkt
In ihrem Papier stellt die BNetzA drei Optionen vor, wie die energieintensive Industrie ihre Stromnachfrage künftig besser an die Erfordernisse im Stromsystem anpassen kann. Das erste Modell setzt dabei auf spotmarktorientierte Flexibilitätsanreize. Die stromintensiven Verbraucher sollen den Betrieb ihrer Prozesse dabei an der Preisentwicklung im Spotmarkt orientieren. Die Bundesnetzagentur betonte mit Blick auf dieses Modell, dass es keine sprunghaften Preisveränderungen gebe, sondern sich diese über mehrere Stunden aufbauen. "Dementsprechend wäre es sinnvoll, die Preisreaktionsräume um die jeweiligen Hochpreisphasen und Preissenken eines Tages zu legen", argumentiert die Behörde.
Kritik an dem Vorschlag liefert die BNetzA selbst. Denn Bandlastverbraucher und EE-Anlagen seien nicht gleichmäßig in den deutschen Stromnetzen verteilt. Daher sei eine marktdienliche Flexibilisierung der Verbraucher nicht automatisch auch gut für das jeweilige örtliche Netz, so die Behörde. Da Markt- und Netzsignal auseinander gehen können, müsse verhindert werden, dass ein marktorientierter Ansatz "zusätzliche Netzengpässe und damit Kosten für Engpassmanagement oder Netzausbau verursacht".
Option 2: Netzdienliche Flexibilisierung
Option 2 setzt daher stärker auf eine netzdienliche Flexibilisierung. Dabei wäre es die Aufgabe der Netzbetreiber, Zeitfenster zu definieren, in denen eine Verbrauchsanpassung eine netzdienliche Wirkung hat. Sie könnten über die Netzentgelte Rabatte gewähren, wenn Unternehmen ihren Verbrauch zeitweise also situativ an den Hoch- oder Niedriglastfenstern ausrichten. "Die Mindestdauer kann seitens der Bundesnetzagentur oder durch den Netzbetreiber vorgegeben werden", heißt es in dem Papier. Wie hoch diese Lastabweichungen sein sollen, könnte beispielsweise das vom Kopernikus-Projekt "SynErgie" vorgeschlagene "Flexibilisierungsband" regeln. Dieses definiert im Zeitverlauf ansteigende Anforderungen an die Erreichung der Entgeltreduzierung.
Option 3: Zugriff durch Netzbetreiber
In der dritten Option stellt die Behörde die direkte Steuerbarkeit durch Netzbetreiber zur Diskussion. Hier würden sich Unternehmen verpflichten, in kritischen Netzsituationen auf Aufforderung Lasten zu drosseln oder zu erhöhen. Dafür schließen sie standardisierte Vereinbarungen mit Netzbetreibern. Netzbetreiber dürften dabei "einen minimalen oder maximalen Leistungsbezug für bestimmte Stunden am Tag vorgeben". Ein ähnliches Modell besteht bereits durch die Regelung SEAL ("Systemdienstleistungsprodukt im Echtzeitbereich aus abschaltbaren Lasten"). Diese beschränkt sich allerdings auf die Übertragungsnetze und dient allein der Frequenzhaltung.
Flexibilisierungspotenzial nicht überschätzen
Die Industrie reagierte alarmiert auf die Vorschläge der BNetzA. "Unternehmen ohne technische Flexibilisierungsmöglichkeiten würden bei Wegfall der Bandlastregelung mit deutlich höheren Netzentgeltkosten rechnen müssen - das hätte dramatische Folgen für den Industriestandort Deutschland", sagte Hauptgeschäftsführer des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), Christian Seyfert. Matthias Belitz, Leiter Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz im VCI, schlug in dieselbe Kerbe. Konkurrenzfähige Netzentgelte seien für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Chemiebranche unverzichtbar. Statt einseitig Verbraucher stärker in die Pflicht zu nehmen, müsse die Stromerzeugung gleichmäßiger gestaltet werden, um den Netzausbaubedarf zu reduzieren, so Belitz.
Mit Blick auf die Flexibilisierungsmöglichkeiten betonte Belitz: "Den Stromverbrauch kurzfristig hoch- oder herunterfahren geht in der Chemie nur sehr begrenzt. Wir betreiben keinen einfachen Herd, sondern hochkomplexe Produktionsnetzwerke." Ähnlich hatte er sich schon im energate talk Ende Februar geäußert. Die Möglichkeiten für flexibleren Stromverbrauch dürften nicht überschätzt werden. Ähnlich äußerte sich VIK-Chef Christian Seyfert. Flexibilitätspotenziale seien selbst innerhalb von Branchen sehr unterschiedlich ausgeprägt, sodass prozentuale Mindestvorgaben weder sinnvoll noch praxistauglich wären.
Branchenworkshop Ende September
Die drei entwickelten Optionen will die Bundesnetzagentur am 30. September in einem Branchenworkshop diskutieren. "Mit der Diskussion über die Industrienetzentgeltreduktionen wollen wir für eine besonders wichtige Netznutzergruppe Rechtssicherheit schaffen", betonte Präsident Müller. Die Konsultation läuft bis zum 21. Oktober. Eine Regelung muss spätestens bis Ende 2028 stehen, dann tritt die 7.000-Stunden-Regel endgültig außer Kraft. /hp
Das vollständige Diskussionspapier "Entgelte für Industrie und Gewerbe" der Bundesnetzagentur können Sie hier abrufen.