Industrie warnt vor Wegfall kostenloser CO2-Zertifikate
Berlin (energate) - In der Industrie wächst die Sorge vor der anstehenden Verschärfung des EU-Emissionshandels (ETS). Nach den Plänen der EU-Kommission erhalten Industrieunternehmen ab dem 1. Januar - zum Start des CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) - weniger kostenlose CO2-Zertifikate. Betroffene Unternehmen warnen vor einer Doppelbelastung aus steigenden CO2-Kosten und neuer bürokratischer Last durch CBAM. "Wenn wir ab 2026 gleichzeitig für Zertifikate zahlen und in Formularen ersticken, ist das kein Fortschritt", mahnte Volker Backs, Geschäftsführer des Aluminiumunternehmens Speira, bei der VIK-Jahrestagung.
Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM soll sicherstellen, dass importierte Güter einen CO2-Preis zahlen, der vergleichbar ist mit dem, der für EU-Produkte im CO2-Emissionshandel anfällt. Das soll Carbon Leakage verhindern, also die Abwanderung CO2-intensiver Unternehmen aus der EU. "Die Intention ist richtig, die Umsetzung aber mangelhaft", klagte Backs. Im schlechtesten Fall beschere CBAM der europäischen Industrie sogar Wettbewerbsnachteile. Dazu komme, dass der CO2-Grenzausgleich nach der ursprünglichen Idee zwar Importe CO2-intensiver Produkte verteuere, der hiesigen Exportwirtschaft helfe das aber nichts. "Wir stehen im globalen Wettbewerb und da hilft uns kein Grenzausgleich", so der Speira-Geschäftsführer.
Übergangsphasen mit Augenmaß
Carin-Martina Tröltzsch, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Kali- und Salzherstellers K+S, sprach sich mit Blick auf die Pläne zur Verschärfung des Emissionshandels für Übergangsphasen mit Augenmaß aus. "Wir wollen Klimaneutralität mit Industrie, nicht ohne", betonte sie. Beide Industrievertreter warnten, dass die Kombination aus sinkender kostenloser Zuteilung im ETS und einem noch unausgereiften CBAM die energieintensive Industrie noch weiter in Bedrängnis bringen könnte. Schon jetzt sei die Lage vieler Industrien angesichts hoher Energie- und Klimakosten kritisch, war ein Tenor bei der VIK-Tagung.
Nach den Plänen der EU-Kommission sollen parallel zum Start des CBAM-Systems ab dem Jahreswechsel vorerst 2,5 Prozent weniger kostenlose CO2-Zertifikate ausgegeben werden. Ab 2028 steigt die Kürzungsrate stetig an, ab 2034 sollen von CBAM betroffene Branchen keine kostenlosen Zertifikate mehr erhalten. Das gilt für Unternehmen aus der Stahl-, Aluminium-, Zement- und Düngemittelindustrie. Für andere Branchen entfällt die kostenlose Zuteilung nach den bisherigen Plänen ab 2039. Dass die Stimmen gegen diesen Fahrplan lauter werden, hat zudem einen weiteren Grund: Parallel verhandelt die EU-Kommission derzeit über eine Verschärfung des Klimaziels für 2040, was die CO2-Kosten für die Unternehmen weiter erhöhen würde.
Realismus, keine Rolle rückwärts
Aus den Reihen der Bundesregierung gab es zuletzt Rückendeckung für die Industrie. Sowohl Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) als auch Klimaschutzminister Carsten Schneider (SPD) sprechen sich inzwischen für eine verlängerte Übergangsphase aus, bis der CBAM nachweislich funktioniert. Ines Zenke, Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums, plädierte bei der VIK-Tagung dafür, eine Debatte über Anpassungen am Emissionshandelssystem zuzulassen. "Wer den ETS auf den Prüfstand stellt, will nicht den Klimaschutz abschaffen", sagte sie. "Aber wir brauchen mehr Realismus, wenn wir Industrie und Wohlstand in Europa halten wollen." Der ETS sei zu bürokratisch und müsse vereinfacht werden, so Zenke.
Tiemo Wölken (SPD), Mitglied des Europäischen Parlaments, zeigte Verständnis für die Kritik, warnte aber vor unkontrollierten Eingriffen. "Sobald wir das ETS-System öffnen, kann am Ende alles passieren", sagte er mit Blick auf den erstarkten rechten Flügel im EU-Parlament, der sich prinzipiell gegen Klimaschutzmaßnahmen stellt. "Wir müssen vorsichtig nachjustieren, dürfen den Klimaschutzkurs aber nicht aus den Augen verlieren", so Wölken. Auch Lisa Badum, klimapolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, sprach sich gegen eine umfassende Reform aus: "Wenn wir den ETS jetzt wieder aufmachen, steht der ganze Green Deal zur Disposition", warnte sie. Auch die Unternehmen würden immer wieder Planungssicherheit verlangen, keine Stop-and-Go-Politik, merkte Badum an. /cs