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H2-Readiness - ja, nein, egal?

Berlin (energate) - Mit der Ampelregierung scheiterte auch die anvisierte Kraftwerksstrategie. Die neue Bundesregierung will nun einen neuen Aufschlag wagen. Die Wasserstofffähigkeit von Gaskraftwerken steht bei der Union allerdings nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen kündigte die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche an, zunächst zügig fünf bis zehn GW an Gaskraftwerken ausschreiben zu lassen. Danach sollten technologieoffene Ausschreibungen folgen. Koalitionspartner SPD sieht das jedoch anders, neue Gaskraftwerke sollten wasserstoff- und damit zukunftsfähig sein. Armand Zorn, der für Energie zuständige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, hatte gegenüber energate in diesem Zusammenhang vor Stranded Investments gewarnt. Auch aus den Bundesländern gibt es Widerstand gegenüber Reiches Kurs.

 

Andree Simon Gerken, Experte für Energiewende und Dekarbonisierung bei PWC Deutschland, findet es hingegen richtig, auf die Bedingung der Wasserstofffähigkeit zu verzichten. "H2-Readiness ist in den Parametern nicht klar definiert", sagte er im Gespräch mit energate, "daher ist es gegebenenfalls besser, technologieoffen zu agieren, die Parameter aber klarer zu definieren." Wichtig sei, dass die Politik jetzt schnell handele, um einer drohenden Flexibilitätslücke vorzubeugen. "Schnell" bedeutet laut Gerken 12-18 Monate. Innerhalb dieser Zeit müsse die Regierung zum einen analysieren lassen, was der ökonomisch sinnvollste Weg sei. Dafür kalkuliert Gerken etwa ein halbes Jahr. Zum anderen müsse sie in den insgesamt maximal 18 Monaten auch die Entscheidung über das künftige Strommarktdesign fällen. Wichtig seien dabei zwei Prämissen, sagte Gerken weiter: "Erstens muss Net Zero erreicht werden, und zwar zu planbaren Kosten. Zweitens darf die Dekarbonisierung nicht zur Deindustrialisierung führen."

 

Flexibilitätslücke wächst

 

Gerken hat mit Kollegen die Studie "Closing the Capacity and Flexibility Gap" geschrieben. Darin untersuchen die Berater, wie groß mögliche Stromlücken in der Zukunft sein könnten. Ihr Fazit, so Gerken: "Das Risiko von zeitlich begrenzten Stromlücken steigt exponentiell." Damit steige auch die Gefahr von länger anhaltenden Zeiträumen, in denen Flexibilität benötigt werde, deutlich an - Stichwort Dunkelflaute. "Dafür haben wir momentan nur wenig technisch belastbare Technologien - Gaskraftwerke wären eine Option", konstatierte Gerken. Batteriespeicher beispielsweise könnten nur für wenige Stunden Flexibilität bereitstellen.

 

Allerdings ist laut der Studie im Basisszenario die Anzahl der Stunden, in denen die vorhandenen Kapazitäten die Nachfrage nicht decken können, sehr gering. Dies gilt nicht nur kurz-, sondern auch langfristig, auch wenn diese Stundenzahl tendenziell ansteigt, was sich unter anderem auf steigende Nachfrage zurückführen lässt. Daneben untersuchte PWC noch ein "Schock-Szenario" mit extrem hoher Nachfrage bei gleichzeitig minimalen Erzeugungskapazitäten. Hier stellt sich die Lage anders dar: Die Studienautoren erwarten für das Jahr 2035 insgesamt 2.865 Stunden, in denen es eine Kapazitätslücke von über 25.000 MW gibt, für das Jahr 2039 sind es sogar 5.208 Stunden. Zum Vergleich: Das Jahr hat 8.760 Stunden.

 

Vorschlag: Starker Fokus auf Gaskraftwerke und CCS

 

Im Zweifelsfall könnte es also kritisch werden. Die Bundesregierung nimmt hier - wie Gerken - vor allem Gaskraftwerke in den Blick. In Kapitel 7 machen die Studienautoren in einem "Gedankenexperiment" dazu einen Vorschlag: erst einmal 20 GW an neuer Gaskraftwerkskapazität installieren. Damit könnte der Strom insgesamt verbilligt und die Sektorenkopplung - konkret: die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors - weiter vorangetrieben werden. Ab 2040 könnten die Emissionen der Gaskraftwerke dann über Carbon Capture and Storage (CCS) dekarbonisiert werden.

 

CCS contra Wasserstoff

 

Allerdings: CCS ist teuer und aufwendig. So verwies Mathias Koch, bei Agora Industrie zuständig für die Bereiche Wasserstoff und CCS, auf Berichte, die alleine die Kosten für die Einspeicherung in dem geplanten niederländischen CO2-Speicher Aramis auf 80 bis 100 Euro pro Tonne beziffern. Hinzu kämen noch die Kosten für Abscheidung, Reinigung und Transport. Zudem sind die Speicherkapazitäten begrenzt. So könnten in Aramis, dem größten der wenigen derzeit in Europa geplanten CO2-Speicher, anfangs jährlich nur etwa 5 Mio. Tonnen CO2 verpresst werden, ordnete Koch im Gespräch mit energate ein. Zum Vergleich: Ein großes Zementwerk oder ein stark genutztes Gaskraftwerk emittiert jährlich etwa eine Million Tonnen CO2 pro Jahr. Mit fünf dieser Anlagen wäre Aramis somit ausgelastet.

 

Viele Experten gehen daher von aus, dass die Technologie nur für Anwendungen sinnvoll ist, in denen eine Dekarbonisierung andernfalls nahezu unmöglich ist. Dazu gehören schwerindustrielle Anwendungen in der Zement- und Kalkindustrie sowie bei Müllverbrennungsanlagen, nicht aber die Erzeugung von Strom. "Es ist zentral, dass CCS auf die Bereiche konzentriert wird, wo es momentan noch keine klimaneutralen Alternativen gibt", unterstrich auch Koch.

 

H2-Readiness als Hersteller-Standard?

 

Als Alternative für den Stromsektor nannte Koch die Nutzung von Wasserstoff. Neben den genannten Gründen sieht er noch weitere Vorteile. So gebe es hier mit dem Wasserstoff-Kernnetz schon eine klare Vorstellung, wie der Energieträger transportiert werden soll - im Gegensatz zum Transport von Kohlenstoffdioxid. Auch sei Wasserstoff schon am Markt verfügbar - wenn auch zu hohen Preisen. Überdies koste es mehrere Hundert Millionen Euro, einmal gebaute Gaskraftwerke auf die CCS-Technologie nachzurüsten, erklärte Koch.

 

Auf Herstellerseite zeichne sich "ohnehin ab, dass nur noch Gaskraftwerke gebaut werden, die sich auf Wasserstoff umrüsten lassen". Die Diskussion um die H2-Readiness von Gaskraftwerken sei daher zum Teil auch eine Scheindebatte. "Entscheidend ist vielmehr, einen verlässlichen Hochlaufpfad für Wasserstoff zu schaffen, der auch in den Ausschreibungen für die Kraftwerke hinterlegt ist", forderte Koch. Erneuerbarer Wasserstoff müsse sukzessive das Erdgas in den Kraftwerken ersetzen. Die Regierung habe sich im Koalitionsvertrag klar zum Wasserstoffhochlauf bekannt. Um diesen abzusichern, brauche es Wasserstoffkraftwerke als zentrale Ankerkunden.

 

Reiche plant mit 20 GW neuer Gaskraftwerksleistung

 

Agora Energiewende sieht die von der Bundesregierung insgesamt angepeilte Zielmarke von 20 GW neuer Gaskraftwerkskapazität kritisch. Laut Berechnungen des Thinktanks beträgt der Bedarf bis 2030 - auch bei einem stark steigenden Strombedarf - maximal 10 GW. Fraglich ist zudem, ob die Ausschreibungen für Gaskraftwerke in dieser Größenordnung das benötigte grüne Licht von der EU bekommen. Schon die Vorgängerregierung hatte hiermit ihre liebe Mühe. /sd

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