"Für Ammoniak-Cracker fehlt es an Business Case und Finanzierung"
Berlin (energate) - Die Wasserstoffinitiative Transhyde 2.0 beschäftigt sich vor allem mit allen Aspekten der Wasserstoffinfrastruktur. Das Netzwerk ist aus dem vorherigen Leitprojekt des Bundesforschungsministeriums als Teil der Nationalen Wasserstoffstrategie entstanden. Weiter mit dabei ist auch Stefan Kaufmann, ehemaliger Wasserstoffbeauftragter des Ministeriums. Er bekleidet jetzt die Position des ersten Vorsitzenden des neu gegründeten Vereins. Mit energate sprach er über die inhaltliche Weiterentwicklung, die aktuelle Lage in der Wasserstoffbranche und bestehende Baustellen für einen großskaligen Wasserstoffimport nach Deutschland.
energate: Herr Kaufmann, inwiefern hat sich Transhyde 2.0 im Vergleich zum Vorgängerprojekt inhaltlich weiterentwickelt?
Kaufmann: Transhyde war noch stark forschungsorientiert. Jetzt geht es verstärkt um die Umsetzung. Wir bewegen uns also in den "Maschinenraum" einer künftigen Wasserstoffinfrastruktur: Wie bringen wir Wasserstoff in verschiedenen Formen in die Anwendung und vor allem zum Endverbraucher? Die Frage der Infrastruktur bleibt zentral: Wie gelangt der Wasserstoff nach Europa und Deutschland, und wie wird er hier verteilt? Dabei richten wir den Blick stärker auf den europäischen beziehungsweise internationalen Markt und suchen Partnerunternehmen. Während Transhyde auf Deutschland beschränkt war, verfolgen wir nun eine internationale Partnerstruktur entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungsketten. So ist etwa ein tschechischer Fernleitungsnetzbetreiber bereits Mitglied. Weitere europäische Kooperationsanfragen liegen vor.
energate: Wie viele Mitglieder haben Sie gewinnen können?
Kaufmann: Wir stehen noch am Anfang der Vereinsentwicklung. Die Gründungsversammlung fand im Frühjahr statt. Momentan zählen wir rund 30 Mitglieder, Ziel ist es, diese Zahl im kommenden Jahr mindestens zu verdoppeln.
energate: Sie sprechen von Umsetzung, doch derzeit werden ja eher viele Projekte gestoppt. Warum sind Sie trotzdem optimistisch?
Kaufmann: Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein. Dafür brauchen wir grüne Moleküle - und das kann nur grüner Wasserstoff sein. Entsprechend muss die notwendige Infrastruktur geschaffen werden, etwa durch den Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes.
energate: Wie dringend brauchen wir neben dem Kernnetz auch ein Wasserstoff-Verteilnetz?
Kaufmann: Das Kernnetz orientiert sich an großen Abnehmern wie wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Studien zeigen aber, dass bis zu 80 Prozent der Industrieunternehmen nicht direkt am Kernnetz liegen. Daher ist die Diskussion, ob Haushalte Wasserstoff benötigen oder nicht, zweitrangig. Klar ist: Wir brauchen eine Verteilinfrastruktur. Auch im politischen Berlin wurde das Thema mehrfach adressiert, bislang jedoch ohne klare Antworten. Entscheidend wird sein, wie die Verteilinfrastruktur finanziert wird - möglicherweise analog zum Kernnetzmodell. Vor allem Stadtwerke treibt diese Frage stark um. Von der vorherigen Regierung habe ich hier eher Zurückhaltung wahrgenommen.
energate: Wie sieht es mit der neuen Regierung aus? Welche News enthält zum Beispiel der kürzlich von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche veröffentlichte Monitoringbericht der Energiewende für die Wasserstoffbranche?
Kaufmann: Die aus dem Monitoringbericht vom Wirtschaftsministerium abgeleiteten Maßnahmen für den Wasserstoffbereich bleiben noch sehr unkonkret. Klar ist, dass das Ministerium seine Maßnahmen für den Hochlauf stärker an der Nachfrage und der Zahlungsbereitschaft der Abnehmer orientieren will und zunächst nicht auf neue größere Förderinstrumente setzt.
energate: Auch beim Kernnetz gibt es noch viele offene Punkte, etwa zur Finanzierung.
Kaufmann: Richtig. Eine zentrale Frage ist, wie das Netz befüllt wird. Betreiber sorgen sich, dass möglicherweise nicht genug Wasserstoff eingespeist oder abgenommen wird. Ohne Förderinstrumente wird es meiner Einschätzung nach nicht gehen. Diskutiert werden ja aktuell verschiedene Ansätze - von Klimaschutzverträgen über Quoten bis hin zu Leitmärkten für grüne Moleküle. Auch regulatorische Maßnahmen zur Nachfrageförderung sind denkbar. Interessant ist die Überlegung, ob Teile des hohen Verteidigungsetats für die Förderung grüner Moleküle genutzt werden könnten - im Sinne einer autarken Energieversorgung Deutschlands.
energate: Beim Wasserstoff allgemein gilt die Regulatorik oft als Hemmnis, etwa die Kriterien für grünen Wasserstoff. Stimmen Sie zu?
Kaufmann: Ja, wobei die Diskussion inzwischen abgeschlossen ist. Sie hat zu lange gedauert, weil man in Brüssel sehr detaillierte Regelungen wollte. Mit dem Delegated Act gibt es nun eine Lösung, die das Kilogramm Wasserstoff allerdings um bis zu zwei Euro verteuert. Dass die Kommission die Regeln kurzfristig erneut ändert, erwarte ich nicht. Auch erschweren diese strengen Kriterien den Import von Wasserstoff nach Europa. Das ist tatsächlich ein Problem, auch für die Erzeugerländer. Bei der ersten H2-Global-Ausschreibung gab es deshalb für Methanol keine Gebote.
energate: Abgesehen von Ausschreibungen: Was fehlt noch, um Wasserstoff per Schiff im großen Stil zu importieren?
Kaufmann: Vor allem die Transportmöglichkeiten. Für flüssigen Wasserstoff gibt es weltweit keine geeigneten Großschiffe. Pilotprojekte gibt es zwar, etwa in Japan, wo Kawasaki einige Schiffe plant und mit Australien erprobt. Die Schwierigkeit ist, dass Wasserstoff auf -253 Grad Celsius heruntergekühlt werden muss, um ihn zu verflüssigen, was sehr energieaufwendig ist. Zudem verdampft während des Transports kontinuierlich Gas, das rückverflüssigt werden muss. Hinzu kommen die Kosten des Schiffsbaus, die auf bis zu 400 Mio. Euro pro Schiff geschätzt werden.
energate: Welche Alternativen gibt es?
Kaufmann: Ammoniak ist aktuell die realistischste Option. Weltweit werden bereits etwa 200 Mio. Tonnen jährlich für die Düngemittelindustrie produziert. Rund 20 Mio. Tonnen davon werden verschifft. Es gibt weltweit rund 150 Tanker, die Ammoniak transportieren können, sowie die entsprechende Hafeninfrastruktur. Ammoniak zur Hafenlogistik zu bringen, ist nicht das Problem. Um Wasserstoff nutzbar zu machen, braucht man jedoch großindustrielle Ammoniak-Cracker. Flüssiger Wasserstoff ist hier im Vorteil, weil er durch Erwärmung wieder in seinen reinen gasförmigen Zustand überführt werden kann. Ammoniak-Cracker im industriellen Maßstab gibt es in Deutschland bislang nicht.
energate: Warum?
Kaufmann: Es fehlen Business Cases und damit Finanzierungen. Zudem stellt sich die Frage der Logistik: Soll ein zentraler Cracker an der Küste, in den Häfen entstehen, oder sind dezentrale Lösungen bei den Abnehmern sinnvoller? Studien, etwa für Rotterdam, legen dezentrale Anlagen nahe. Eine vom Port of Rotterdam in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass sich jedenfalls vor 2030 ein vom Hafen selbst betriebener Cracker nicht rechnet.
energate: Also wäre eine dezentrale Lösung wirtschaftlicher?
Kaufmann: Ja, zumindest gibt es Überlegungen, importiertes Ammoniak zunächst per Bahn oder Binnenschiff zum Beispiel nach Ludwigshafen zu transportieren. Die Infrastruktur existiert bereits.
energate: Das heutige Ammoniak ist weitgehend fossilen Ursprungs. Gibt es schon einen Markt für grünes Ammoniak?
Kaufmann: Weltweit stehen Projekte in den Startlöchern, etwa in China oder Indien. Der Markt fehlt jedoch noch. Die Düngemittel- und Chemieindustrie wären die naheliegenden Abnehmer, sind aber derzeit nicht bereit, für "grün" einen Aufpreis zu zahlen. Die Branche ist sehr preissensitiv.
energate: Könnte eine RFNBO-Quote im Rahmen der RED III hier helfen?
Kaufmann: Ja, die Quote soll 2027 starten, zusätzlich greifen die EU-Maritim-Verordnung und gegebenenfalls auch die IMO-Quoten. Quoten für grüne Schiffstreibstoffe, wie sie demnächst auch bei den Verhandlungen der International Maritime Organisation in London beschlossen werden sollen, senden ein Signal für einen Markthochlauf. Gerade Ammoniak soll auch als Schiffstreibstoff eine wesentliche Rolle spielen. Zusammengenommen werden diese Instrumente die Nachfrage anregen und den Hochlauf der globalen grünen Ammoniakproduktion unterstützen. Länder wie Indien beobachten diese Entwicklung bereits sehr genau.