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"Die Energiewende braucht jetzt klare Entscheidungen"

Kiel (energate) - Nach dem Energiewende-Monitoring stehen nun viele energiepolitische Entscheidungen an. Für die muss Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche nicht nur den Koalitionspartner SPD gewinnen, sondern auch die Länder. Dieser Gastbeitrag macht zahlreiche Konfliktlinien deutlich.

 

Ein Gastbeitrag von Tobias Goldschmidt - Minister für Energiewende, Klimaschutz und Umwelt in Schleswig-Holstein

 

Die erneuerbaren Energien sind erwachsen und preisgünstig geworden. Die Stromversorgung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt basiert auf klimaneutraler Energie. Die Treibhausgasemissionen gehen runter. Deutschland hat viel bewegt und es gibt keinen Grund für Miesepetrigkeit. Die Energiewende steht auch nicht, wie Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche behauptet, an einem Scheideweg. Die Energiewende gleicht eher einer Großbaustelle, auf der die Hälfte des Gebäudes steht.

 

Und die Bundeswirtschaftsministerin als neue Bauleiterin wirkt, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie weiterbaut, um das Ziel der Klimaneutralität 2045 zu erreichen, oder ob sie die Abrissbirne auspackt, weil ihr die Herausforderungen zu groß erscheinen. ​Währenddessen stehen die Bauarbeiter und Handwerker, Architekten und Ingenieure zunehmend ratlos auf der Baustelle und wissen nicht, ob sie weiterbauen sollen oder nicht. Genau diese Ratlosigkeit macht sich derzeit unter den Energiewende-Akteuren breit.

 

Klare Entscheidungen statt Fusionspläne

 

Alle erwarten spätestens jetzt, nach dem Monitoring-Bericht, klare Entscheidungen und einen verbindlichen Plan, wie der gesetzliche Rahmen in den verschiedenen Bereichen der Energiewende künftig aussehen soll. Sie bekommen aber nichts, außer der Science-Fiction-Perspektive, dass in Deutschland irgendwann ein Fusionsreaktor stehen soll. Sie bekommen schon gar keine positive Erzählung im Sinne eines "Wir schaffen das". Das führt zu Verdruss und leider auch zu Vertrauensverlust - nicht nur in diese Regierung, sondern in die Politik insgesamt. Hier müssen wir dringend gegensteuern.

 

Mein Appell an die Bundesregierung in der Energiepolitik könnte daher eigentlich auch gut vom Kanzler selbst kommen: Einfach mal machen, was ansteht! Die Bezahlbarkeit ist für den Erfolg des Projektes mitentscheidend. Das Lagebild, das mit dem Monitoring erstellt wurde, ist durchaus hilfreich. Die Länder stehen gerne bereit, auf dieser Grundlage jetzt gemeinsam die Gesetzesvorhaben konkret auf den Weg zu bringen.

 

Zum ehrlichen Lagebild dieser Baustelle gehört: Die Bundesregierung muss den Menschen sagen, dass sie ihr Versprechen nicht halten wird, die Energiepreise dauerhaft um 5 Cent zu senken. An der Weggabelung zwischen Senkung der Stromsteuer und anderen Subventionen hat die schwarz-rote Koalition sich für die Ausweitung der Mütterrente und die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie entschieden. Das Geld ist nicht weg, es ist nur woanders.

 

Stromsteuersenkung, Digitalisierung und Preiszone

 

Damit wenigstens hier Planungssicherheit entsteht, fordere ich die Bundesregierung auf, wenigstens eine Weiche anders zu stellen: Statt jedes Jahr neu über Netzentgeltzuschüsse für jeweils nur zwölf Monate zu entscheiden, sollten die dafür vorgesehenen Mittel in Höhe von 6,5 Mrd. Euro für die dauerhafte Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß eingesetzt werden. Damit hätten alle Verbraucherinnen und Verbraucher auf Jahre Klarheit über niedrigere Strompreise. Und die Prozesse wären deutlich schlanker, da alle komplizierten Abgrenzungen, auf welche Strommengen die Steuer zu erheben ist und auf welche nicht, auf einen Schlag entfielen.

 

Auch in anderen Bereichen brauchen wir Klarheit und Verschlankung: So leisten wir uns in Deutschland fast 900 Verteilnetze mit entsprechenden Overhead-Kosten und unterschiedlichen Anforderungen. Das muss dringend digitaler und einheitlicher werden. Dabei könnten auch die Kosten deutlich sinken: Wenn die Netze wie auf der Höchstspannungsebene digitaler werden, können sie besser gesteuert und höher ausgelastet werden.

 

Aus Sicht des gesamten Stromsystems ist es auch kurzsichtig, dass die Bundesregierung das Thema eines Stromgebotszonensplits ad acta legen will, bevor sie es überhaupt ernsthaft analysiert und durchdiskutiert hat. Die Übertragungsnetzbetreiber haben bereits gezeigt, dass Wohlfahrtsgewinne darin lägen, wenn der Strommarkt in mehrere Gebotszonen unterteilt wäre und damit besser zur Physik - also der Realität - passen würde. Dies würde langfristig auch die Stromkosten dämpfen.

 

Industriestrompreis und Energiewende für alle

 

Gegenüber den USA und China haben wir als rohstoffarmes Land mit einem im internationalen Vergleich unschlagbar hohen Niveau an Systemsicherheit ein höheres Energiepreislevel und das wird auch so bleiben. Deshalb begrüße ich, dass Ministerin Reiche die Idee ihres Vorgängers Robert Habeck fortführt und einen Industriestrompreis alias Brückenstrompreis einführen möchte, der Unternehmen, die in Transformation investieren, für drei Jahre gewährt werden soll. Eine längere Perspektive wäre wünschenswert, ist aber nicht vereinbar mit den europäischen Vorgaben. Ein Industriestrompreis ist kein Allheilmittel für die Industrie. Aber es ist ein Baustein, der für den Weiterbau zur Klimaneutralität richtig und nötig ist.

 

Eher in den Bereich der Kosmetik auf dieser Großbaustelle fällt Katherina Reiches Idee, die EEG-Umlage deutlich zu entlasten, indem sie die Förderung für die kleine Dach-PV streichen will. Das ist nicht nur unrealistisch, weil die EEG-Umlage sich durch ihre 20-Jahres-Perspektive gar nicht schnell senken lässt. Sondern es würde der Akzeptanz der Energiewende einen echten Bärendienst erweisen. Denn die Förderung wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern genutzt und hat bereits viele zum Mitmachen bei der Energiewende motiviert. Nirgends sonst wird für den normalen Haushaltskunden die Sinnhaftigkeit der Energiewende so greifbar wie beim Blick in die Smart-Home-App des eigenen Wechselrichters. Zweifelsohne sind Anpassungen denkbar, aber ein echter Einspar-Vorschlag ist das nicht.

 

Ja zu Wasserstoff - Vorsicht bei CCS 

 

Kostendämpfung wäre zu erreichen, indem man den Wasserstoffhochlauf zum Erfolg führt. Private Unternehmen und der Staat sind mit dem Amortisationskonto für das Kernnetz ins Risiko gegangen. Die Back-up-Kraftwerke, die erst mit Gas und später mit Wasserstoff betrieben werden, sind dort als Ankerkunden modelliert. Der Bundesrat hat sich parteiübergreifend im Rahmen des Kohlendioxidspeichergesetzes dafür ausgesprochen, dass die Bundesregierung die Branchen klar benennt, für die CCS zur Dekarbonisierung unterstützt wird und für welche nicht. Kraftwerke gehören zur zweiten Kategorie. Man wird nichts als Enttäuschung und Attentismus produzieren, wenn man unter dem Stichwort Technologieoffenheit suggeriert, es würde überall jede CCS-Infrastruktur für jeden Nutzer zur Verfügung gestellt. Das wird weder bezahlbar noch vermittelbar sein.

 

Besonders heiß diskutiert werden Einsparmöglichkeiten beim Stromnetzausbau, vor allem durch eine Rückkehr zum Freileitungsvorrang für Gleichstromleitungen. Hier stehen sich diejenigen, die - so wie ich - die Erdkabeltechnik als Investition in die Akzeptanz sehen und diejenigen, für die die Projektkosten im Fokus stehen, unerbittlich gegenüber. Möglicherweise liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen beiden Lagern. Ich bin sicher, dass sich gute Lösungen, etwa im Sinne einer konsequenten Stärkung des Bündelungsprinzips, finden ließen, wenn wir denn einmal in einen echten Dialog darüber kämen.

 

Abstrakt sind Forderungen nach Kostendämpfung immer extrem beliebt und jeder ist dafür. Wenn es konkret wird, produziert Kostendämpfung aber immer auch Verlierer, Nachteile und Widerstände. Deshalb brauchen wir eine möglichst breite, demokratische Allianz für Kosteneffizienz der Energiewende. Wir brauchen die Bereitschaft zum Kompromiss. Die Länder würden für so einen gemeinsamen Prozess bereitstehen. Nur wird es auf der Großbaustelle Energiewende fast ein Jahr nach dem Scheitern der Ampelregierung Zeit, endlich wieder anzupacken.

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