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BGH-Urteil zur Kundenanlage weckt sanfte Hoffnungen

Karlsruhe (energate) - Der Bundesgerichtshof hat ein in der Branche sehnsüchtig erwartetes Urteil zu sogenannten Kundenanlagen veröffentlicht. Experten waren nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom November vergangenen Jahres zum Teil davon ausgegangen, dass dieses das Aus für das Konzept der Kundenanlage darstellen könne. Zwar geht der Bundesgerichtshof im konkret entschiedenen Fall nicht von einer Kundenanlage, sondern von einem Verteilnetz aus. Der Begriff der Kundenanlage ist damit aber wohl noch nicht ganz gestorben, wie eine entsprechende Pressemitteilung nahelegt. Eine detailliertere Einschätzung wird aber erst mit der Urteilsbegründung möglich sein, die voraussichtlich in einigen Wochen vorliegen wird.  

 

Streitpunkt: Anschluss zweier Wohnquartiere

 

Im vorliegenden Fall lieferte ein Energieversorgungsunternehmen aufgrund eines Lieferungsvertrags mit der Grundstückseigentümerin zunächst Wärme und Warmwasser an vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten und sechs Wohnblöcken mit 160 Wohneinheiten. Die Wärme stammte aus einer Energiezentrale sowie einem daran angeschlossenen Nahwärmenetz. In einem zweiten Schritt wollte der Energieversorger die Areale auch mit Strom versorgen. Dafür plante er zwei Blockheizkraftwerke und die entsprechenden Leitungssysteme. Von der örtlichen Verteilnetzbetreiberin verlangte der Versorger Netzanschlüsse für zwei getrennte Kundenanlagen zum Anschluss an das Verteilnetz sowie die erforderlichen Zählpunkte, also Summenzähler sowie bilanzierungsrelevante Unterzähler.

 

Die Netzbetreiberin lehnte die Anträge ab. Die Begründung: Es handele sich dabei laut Gesetz nicht um Kundenanlagen. Der Energieversorger forderte daraufhin die Landesregulierungsbehörde auf, die Verteilnetzbetreiberin zum Anschluss der Kundenanlagen zu verpflichten. Da die Behörde dieser Aufforderung nicht nachkam, wandte sich der Energieversorger an das Oberlandesgericht Dresden - ohne Erfolg. Schließlich landete der Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Dieser wandte sich an den EuGH, damit dieser zur Kundenanlage Stellung bezöge. Nach dessen Urteil im November kam der Fall abermals vor dem BGH.

 

Europäisches Urteil verunsicherte Branche

 

"Das Urteil des EuGH liest sich so, dass nur noch wenig Raum für das bleibt, was Energiejuristen bisher unter einer Kundenanlage verstanden haben", erläuterte Rechtsanwalt Tarek Abdelghany von der Kanzlei Forvis Mazars im Gespräch mit energate. Rechtsanwältin Sabine Schulte-Beckhausen von der Kanzlei Maygreen schätzte das ursprüngliche Urteil ebenfalls so ein.

 

Der vollständige Todesstoß für die Kundenanlagen ist das europäische Urteil jetzt wohl aber doch nicht. So erklärte Rechtanwältin Gabriele Haas von der Kanzlei Noerr: "Die Pressemitteilung des BGH deutet darauf hin, dass noch Raum für Kundenanlagen, die nicht der Netzregulierung unterworfen sind, bleibt." Tatsächlich findet sich in der Mitteilung des BGH kein Hinweis darauf, dass aufgrund des Urteils auf EU-Ebene das nationale Recht nicht mehr anzuwenden ist oder dass es künftig keine Kundenanlagen mehr geben wird.

 

Große Quartiere künftig keine Kundenanlagen mehr

 

Der Begriff Kundenanlage ist für verschiedene Sachverhalte von Belang. Er entstand ursprünglich im Zusammenhang mit Mieterstromkonzepten. Alle Kunden, die ein Unternehmen innerhalb dieser Anlage mit selbst erzeugtem Strom versorgt, mussten keine Netznutzungsentgelte und Abgaben bezahlen. Daher wünschen sich zum Beispiel Anbieter von Mieterstrom eine möglichst umfassende weite Definition der Kundenanlage. "Dadurch, dass Strom aus dezentralen Erzeugungsanlagen nicht durch das öffentliche Netz fließen muss, fallen bis zu zwei Drittel des Strompreises weg", ordnete Abdelghany ein. Schon früh setzten sich daher die Gerichte mit der Thematik auseinander. Später gewann der Begriff der Kundenanlage immer mehr auch an Bedeutung für Industrieanlagen. Nämlich dann, wenn ein Unternehmen mit selbsterzeugter Energie auch andere Unternehmen oder Töchter belieferte. Auch Einkaufszentren und große Flughäfen fallen momentan häufig unter den Begriff der Kundenanlage.

 

Welcher Anwendungsfall künftig noch als Kundenanlage angesehen wird, ist ungewiss, vor allem, da die Urteilsbegründung noch aussteht. "Es wird schwer für einige Kundenanlagenbetreiber", stufte Abdelghany ein. Vor allem ganze Quartiere sowie Einkaufszentren würden künftig voraussichtlich aus der Definition herausfallen. Schulte-Beckhausen ergänzte gegenüber energate, die betrachteten Fälle hätten schon den Umfang eines ganzen Dorfes oder Stadtteils.  Auch sie geht von einem Aus für größere allgemeine Kundenanlagen mit vielen Letztverbrauchern - sprich größeren Mieterstromprojekten - aus. Einzelne Mietshäuser ohne Eigenerzeugung dürften hingegen verschont bleiben. "Da fragt niemand nach", so Schulte-Beckhausen im Gespräch mit energate.

 

Gespaltene Aussichten für Industrieareale

 

Anders könnte es nach Einschätzung der Experten für Industrieareale aussehen. Denn im Industriebereich werden oftmals sogenannte betriebliche Kundenanlagen betrieben. Diese könnten nach einhelliger Auffassung auch nach richtlinienkonformer Auslegung weiter betrieben werden, schätzte Abdelghany ein. Schulte-Beckhausen sieht dies nicht ganz so klar. Sie erklärte im Gespräch mit energate, bei industriellen Kundenanlagen müsse man in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung vornehmen. Es gebe hier unterschiedliche Konstellationen. "Ganz große Industrieareale sind schon heute oft geschlossene Verteilernetze", erläuterte Schulte-Beckhausen - das entspricht den früheren Arealnetzen. Andere Industrieareale gelten hingegen heute in der Regel als Kundenanlagen.

 

Klassischerweise beliefert dabei ein Industriebetrieb Drittunternehmen mit selbst erzeugter Energie. Wobei als Drittunternehmen auch Tochter- oder Schwesterunternehmen gelten. Zu Industrienetzen wird sich der Bundesgerichtshof nach Einschätzung von Schulte-Beckhausen voraussichtlich aber nicht äußern. In jedem Fall bliebe es der Politik überlassen, das Gesetz an die Rechtsprechung anzupassen. Manchmal geben die obersten Gerichte in ihrer Urteilsbegründung mit einem "Obiter Dictum" einen Hinweis an die Politik, wie sich ein Gesetz sinnvoll ändern lassen. /sd

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